NOVEMBER
2004

 
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KUNST




Bronzino, "Ugolino Martelli"

Agnolo Bronzino (Monticelli 1503 - Florenz 1572)
"Ugolino Martelli"
1537/1538
Öl auf Pappelholz, 102 x 85 cm
Gemäldegalerie Berlin


Siehe auch:
Renaissance und Manierismus in Italien

Bronzino, eigentlich Agnolo di Cosimo di Mariano, gestaltete mehrere Villen und Paläste und gilt als der bedeutendste Porträtmaler des Florentiner Manierismus. Das hier vorgestellte Gemälde zeigt den jungen Ugolini Martelli, einen der berühmtesten Dichter und Gelehrten seiner Zeit. Martelli (1519-1592) wurde 1544 Konsul der Florentinischen Akademie, 1572 Bischof in der französischen Provence. Sechs Jahre später musste er vor den Hugenotten nach Vitiana bei Empoli flüchten, wo er sich zurückgezogen in seiner Villa dem Schreiben widmete.

Im Vordergrund des in düsteren Farben gehaltenen Bildes sieht man den 18-20jährigen Ugolino Martelli. Die Dreiviertelfigur trägt ein seidig schimmerndes, hochgeschlossenes grauschwarzes Gewand mit engen, geschlitzten Beinkleidern und ein flaches schwarzes Barett. Martelli sitzt an einem Tisch, der die Formen eines Greifens erkennen lässt, das Familienwappen der Martellis.

Martellis linke Hand stützt sich auf ein Buch mit der Inschrift "m.P. BEMBO", welche auf den zeitgenössischen Schriftsteller Pietro Bembo hinweist. Mit der rechten Hand markiert Martelli eine Stelle in Homers Ilias, und ganz links, vom Rand überschnitten, findet sich eine Vergil-Ausgabe, erkennbar an den Buchstaben "MARO". Diese Gegenstände sollen Martellis Nationalgefühl zu Italien bekunden, weisen doch die antiken Bücher auf die während der Renaissance wiederentdeckte Frühgeschichte Roms und Italiens hin. Der Schriftsteller Bembo wiederum trat im Sprachenstreit für den Gebrauch des Volgare in der Dichtkunst ein, der toskanischen Volkssprache.

Eine zweite Funktion der Gegenstände ist es, Martelli als gebildet und belesen zu charakterisieren. Dies unterstreicht auch die kühle und distanzierte Darstellung. Indem Bronzino Martelli mit vergeistigten, introvertierten Zügen zeigt, überspielt er sein junges Alter und verleiht ihm Würde und Eleganz.

Das Porträt wirkt einerseits natürlich - Martelli hat für einen Moment zu lesen aufgehört, markiert die Stelle mit einem Finger und bleibt ganz in Gedanken versunken. Andererseits ist die Pose hoch stilisiert, da die entgegengesetzten Drehungen des Körpers einer künstlichen Konstruktion entsprechen. Martelli wendet sich nach links, den Kopf nach rechts, und blickt sinnend zur Seite. Er sitzt neben dem Tisch, wendet aber die Beine vom Tisch ab, so dass er erst durch eine Drehung des Oberkörpers frontal zu sehen ist.

Den Hintergrund füllt die Fassadenfront eines Innenhofes, bei dem es sich um den Hof des väterlichen Palastes handelt. Von einem Nischenbogen gerahmt, steht links hinten eine ganzfigurige David-Statue auf einem Piedestal. Wie die Bücher ist auch die Darstellung des David, Symbol der Florentiner Republik, vor dem Hintergrund des zu dieser Zeit aufkommenden Nationalgefühls zu verstehen.

Seit Vasari galt zunächst eine Skulptur Donatellos als Vorbild für die Statue. Inzwischen wird jedoch ein Werk von Bernardo Rossellino als Referenz betrachtet, welches in der Washingtoner National Gallery aufbewahrt wird. Kopfhaltung und Blickrichtung der abgebildeten Statue sind gegenüber dem Vorbild leicht verändert und stimmen so mit Martelli überein, während die Haltung der Oberkörper gegeneinandergesetzt ist. Auch hier wird also das Spiel der konstruierten Körperdrehungen noch einmal aufgenommen.

Der Raum ist als Ecklösung konzipiert. Diese besteht jedoch nicht einfach nur aus zwei Wänden, sondern wird durch einen Rücksprung der fluchtenden Wand erweitert. Auf diese Art und Weise ergibt sich eine komplizierte, den Blick stufenweise in die Tiefe lenkende Konstruktion von kulissenhafter Wirkung. Durch die Fensterfolge der Wandabschnitte, den Verlauf der Bodenfliesen und die reduzierte Größe der Statue wird die Tiefenerstreckung des Raumes zusätzlich veranschaulicht. Daneben verschafft die derart verdoppelte Raumecke der Figur vorn den erforderlichen Spielraum.

Obwohl Nähe und Ferne in einer etwas verwirrenden Beziehung zueinander stehen, wird der ursprüngliche Eindruck räumlichen Realismus nicht zerstört. Auch führt die Gestaltung des Raumes nicht zu einer Unterordnung des Porträtierten, da die räumlichen Motive vom Bildrand und von der Figur überschnitten werden. Schlussendlich wird der Ausschnitt allein vom Darstellungsbedürfnis der porträtierten Person bestimmt, die hier eine fein durchdachte Würdigung erfährt.

aw