AUGUST
2002

 
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KUNST


Jean-Baptiste Greuze, "L'Accordée de village"


 

Jean-Baptiste Greuze (1725-1805)
L'Accordée de Village (Die Dorfbraut), 1761

Öl auf Leinwand
92x117 cm
Louvre, Paris


Mit seinem Gemälde L'Accordée de village gelang dem Künstler Jean-Baptiste Greuze der große Wurf: Der Marquis de Marigny, königlicher Kultusminister, hatte es bei Greuze in Auftrag gegeben. Bevor es zum Hauptstück in Marignys persönlicher Sammlung avancierte, erntete es euphorische Kritiken in der wichtigsten Pariser Kunstausstellung, dem Salon von 1761. Nach Marignys Tod im Jahr 1781 gelangte das Werk in die Sammlung des Königs Louis XVI.

Diese Erfolgsgeschichte war ungewöhnlich für ein Genre-Bild, also ein Bild, das eine Szene des täglichen Lebens abbildet. Denn in der geltenden Gattungshierarchie verdienten allein das Historienbild und das Porträt Anerkennung. Wenn sich Greuzes Bild dennoch durchsetzen konnte, so ist der Grund hierfür in seiner Botschaft zu suchen.

L'Accordée de village zeigt eine Gruppe von Personen in einem bürgerlich-bäuerlichen Innenraum. Im Zentrum des Bildes steht ein junger Bräutigam, dem sein Schwiegervater gerade den Beutel mit der Mitgift überreicht hat. Auf den Sessel des Vaters stützt sich mit neidischem Blick die ältere Schwester der Braut. An einem kleinen Tisch sitzt der Notar, vor sich die Heiratspapiere. Die Braut steht neben ihrem Verlobten, einen Arm unter seinen geschoben, den anderen von der Mutter ergriffen. Eine jüngere Schwester lehnt sich weinend an ihre Schulter. Drei weitere Kinder und zwei Dienstmädchen wohnen dem Geschehen bei.

Nicht die Hochzeitsfeier, sondern das Unterschreiben der Heiratsdokumente und das Geschenk der Mitgift stehen im Mittelpunkt. Dies unterstreicht auch der ursprüngliche Titel, der dem Bild im Salon gegeben wurde: "Eine Heirat und der Moment, in dem der Vater der Verlobten die Mitgift seinem Schwiegersohn überreicht". Eine komplette Heirat erforderte einen vom Notar unterschriebenen Zivilvertrag und das vom Priester gegebene Sakrament. Durch die wachsende Hegemonie des Staates verschob sich das Gewicht jedoch: Die Vereinigung zweier Menschen sollte erst die Genehmigung durch die Gesellschaft erfahren, bevor sie Gottes Segen erhält. Dafür spricht sich auch L'Accordée de village aus.

Die Heirat ist hier aber nicht nur ein Vertrag mit der Gesellschaft, sondern auch ein Vertrag mit der Natur, und zwar zum Zweck der Familiengründung. Greuze idealisiert den einfachen, natürlichen und altmodischen Haushalt. Die Familie wird als patriarchische Idealfamilie mit klassischer Rollenverteilung dargestellt, was sich in der Anordnung der Figuren, ihrer Gestik und ihrem Ausdruck zeigt.

Die weiblichen Figuren sind von Gefühlen überwältigt, die männlichen gedankenversunken, eloquent oder ernst. Der Bräutigam wird den Platz des alten Vaters im Haushalt einnehmen: Die Schenkung der Mitgift entspricht einer Machtübertragung; er steht im Zentrum der Komposition, sein Kopf bildet die Spitze der Pyramide. Die Tatsache, daß er seiner Braut den Rücken zukehrt, spricht dafür, daß ihre Wünsche denen seinen untergeordnet sind.

Die Braut steht zwischen ihrer bisherigen Existenz als Teil einer Familie und ihrer zukünftigen Rolle als ergebene Ehefrau. Sie dreht den Kopf weg von Mutter und Schwester, fühlt nach der Hand ihres Ehemanns, und verbildlicht damit in Haltung und Gestik die Transaktion, die vom Notar gerade ausgeführt wird. Der angehobene Rock deutet den bevorstehenden Schritt aus dem Schoß ihrer Familie an.

Die geschlechterspezifische Rollenverteilung wird auch durch die Gegenstände versinnbildlicht: Die Brotlaibe über Vater und Bräutigam stehen für Broterwerb und Erhalt der Familie, die Muskete für Jagd und Schutz, während Huhn und Küken die prokreative Verantwortung von Mutter und Braut ansprechen sollen.

Greuzes Bild ist damit ein Gesellschaftsmodell - das Modell einer patriarchalen Gesellschaft. L'accordée de village gehört der sogenannten "moralisierenden Genremalerei" an, die sich durch ihre moralischen Untertöne eine Existenzberechtigung neben der hohen Gattung des Historienbildes verschaffen konnte. Das Genre-Bild galt damit nicht mehr als banale Szene, sondern als pittoreskes Lehrstück.

aw