OKTOBER
2003

 
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KUNST


Historienbilder erzählen: Manet, "Erschießung Kaiser Maximilians"

Edouard Manet (1832-1883)
"Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko"
1868/69
Öl auf Leinwand, 252 x 302 cm
Mannheim, Städtische Kunsthalle


Drei Männer - es handelt sich um Kaiser Maximilian und zwei Generäle - werden von einem Erschießungskommando hingerichtet. Dargestellt ist der winzige Augenblick, in dem die Soldaten schon abgedrückt haben, die Kugeln aber Maximilian noch nicht erreicht haben - eine aufgrund ihrer Flüchtigkeit in der akademischen Tradition gar nicht bildwürdige Szene.

Im Jahre 1860 hatte Benito Juárez, Präsident von Mexiko, seinen Rivalen General Miramón des Amtes enthoben, nur um zu entdecken, dass die von Miramón zurückgelassenen Staatschulden immens waren. Juárez weigerte sich, diese Schulden anzuerkennen, und stoppte die Zahlungen an die Kreditgeber Frankreich, Spanien und Großbritannien. Die drei Mächte einigten sich daraufhin auf eine gemeinsamen Expedition nach Mexiko, um die Schulden einzutreiben. Spanien und Großbritannien zogen sich jedoch bereits 1862 zurück. Nachdem die französischen Truppen schwere Verluste erlitten hatten, entschied Napoleon III, dass Juárez abgesetzt werden müsse. So bot er Mexikos Thron Maximilian an, einem nach dem Fall der Lombardei im Jahre 1859 beschäftigungslosen Monarchen. Doch der Sturz der Juárez-Regierung erwies sich als kostspielige und schwierige Aufgabe. 1867 zog Napoleon alle Truppen aus Mexiko ab und ließ Maximilian ohne Verteidungung zurück. Prompt wurden dieser sowie seine beiden mexikanischen Generäle von Juárez' Guerilla gefangengenommen; wenig später wurden sie exekutiert.

Diese Episode stellt den Wendepunkt der anfangs erfolgreichen Außenpolitik des Second Empire dar. Die französische Regierung suchte sich von vornherein gegen Schuldzuweisungen zu verwahren. Auch wenn sie die Nachricht selbst nicht mehr unterdrücken konnte - die Zeitungen berichteten ausführlich von dem Ereignis - unterband sie praktisch jede politische Interpretation des Geschehens. Auch Manets Gemälde fiel zunächst der Zensur zum Opfer.

Vordergründig enthält sich Manets Gemälde jedoch einer politischen Deutung. "Die Erschießung Kaiser Maximilians" ist Manets einziges Werk von vergleichbarem Anspruch, das eine Gegebenheit festhält, die der Maler nicht selbst gesehen hatte. Dennoch verschreibt sich Manet auch hier einem subjektiven Dokumentieren, das sich jeder Sinngebung enthält. Subjektiv deshalb, weil sich zu viele logische Fehler finden, als dass man von einem genauen Abbild der Wirklichkeit sprechen könnte: So ist die Distanz zwischen Erschießungskommando und Opfern viel zu nah, die Soldaten scheinen an den Opfern vorbeizuschießen, und obwohl der Rauch doch länger zur Ausbreitung braucht als die Kugel zum Einschlag, ist Maximilian noch nicht getroffen (anders als der weiter zurück stehende General links von ihm). Zudem hätte sich Manet, etwa was die Uniformen der Soldaten betrifft, weit mehr an die historischen Tatsachen halten können, als er es getan hat. Tatsächlich konnte Manet im Verlauf der vier Bildversionen, die er von dem Ereignis angefertigt hat, auf einen immer größeren Fundus an Presseberichten und Fotografien zurückgreifen.

"Subjektiv" bedeutet in diesem Sinne dennoch nicht "emotional". Statt einer emotionalen Wertung zeigt das Bild nur eine beiläufige Interessiertheit, genau wie die Zuschauer auf der Mauer im Hintergrund. Das gesichtslose Erschießungskommando ist nicht individualisiert, und im Gegensatz zu früheren Fassungen gibt niemand das Signal zum Feuern: Eine Schuldzuweisung findet nicht statt. Die Szene wirkt keineswegs dramatisch, sondern eher unspektakulär.

Trotz des Anscheins von Sinnfreiheit könnte man dennoch eine implizite Schuldzuweisung an Frankreich aus dem Gemälde lesen. Wenn die bloß ausführenden Soldaten selbst keine Verantwortung tragen, muss diese bei Frankreich liegen - was auch durch die aus mexikanischen und französischen Elementen bestehenden Fantasieuniformen bestätigt wird.

Doch die eigentliche Aussage des Bildes liegt vermutlich nicht in diesen Spitzfindigkeiten. Wenn die "Erschießung Maximilians" weder unter der Perspektive der Sinnhaftigkeit, noch unter jener der Sinnlosigkeit steht, wird das Ereignis als historisch entwertet. Doch gerade indem Manet die Szene ungedeutet lässt, legt er sie in ihrer Tragik bloß: Mehr als eine zeitgenössische Reportage erscheint die "Erschießung Maximilians" als eine überzeitliche Ikone des Todes.

aw