Ende 
          der neunziger Jahre beschloss der Kunstbeirat des Deutschen Bundestags 
          ein Kunstkonzept, das alle drei Parlamentsbauten mit Kunst am Bau ausstatten 
          sollte. Bedeutende deutsche Künstler sowie Künstler aus den 
          ehemaligen Siegermächten wurden aufgefordert, Kunstwerke zu entwickeln, 
          die sich mit der politischen Geschichte Deutschlands auseinandersetzen 
          sollten. Aufgrund seiner historischen Bausubstanz und seiner nicht minder 
          historischen Bedeutung nimmt dabei das Reichstagsgebäude eine besondere 
          Stellung ein. Wie schwierig es ist, Kunst und Politik auf überzeugende 
          Art und Weise zu verbinden, zeigen die folgenden Beispiele.  
          Westeingangshalle: Gerhard Richter, "Schwarz Rot Gold", 
            1998
            Gerhard Richters Farbkunstwerk von 21 m Höhe und 3 m Breite besteht 
            aus drei Glastafeln in den Farben Schwarz, Rot und Gold, die übereinander 
            angebracht sind. Aufgrund des Hochformats und der spiegelnden Oberfläche 
            sollen Assoziationen zur deutschen Flagge lediglich angedeutet, aber 
            auch wieder gebrochen werden, ein Ziel, das sich im Grunde nicht erfüllt. 
            Trotz der Verfremdung wird das Kunstwerk vom Betrachter sofort und eindeutig als 
            Flagge erkannt, so dass die autonome Farberfahrung sich nicht einstellen 
            mag.
          Nordeingangshalle: Jenny Holzer, "Installation für das 
            Reichtagsgebäude", 1999
            Die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer hat für den Reichstag eine 
            Stahlstele mit digitalem Schriftpaneel konzipiert, auf dem 447 Reden 
            von Reichstags- und Bundestagsabgeordneten aus den Jahren 1871 bis 
            1999 ablaufen. Parlamentarische Zwischenrufe werden durch Blinken 
            markiert. Um einmal komplett durchzulaufen, brauchen die Texte 20 
            Tage. Die Installation soll den tragenden Pfeiler des Parlaments als 
            Haus der politischen Rede verbildlichen. Das Problem ist, dass sich 
            die Reden nicht wirklich lesen lassen. Da die Laufrichtung von unten 
            nach oben verläuft und die Buchstaben vertikal statt horizontal 
            angeordnet sind, kann das Auge höchstens drei, vier Worte in 
            Folge fassen. Dadurch bekommt Holzers Kunstwerk eine unfreiwillige 
            Komik: Die Reden der Parlamentarier drohen, zu leerem Geschwätz 
            zu verkommen.
          Südeingangshalle: Georg Baselitz, "Friedrichs Frau am 
            Abgrund", "Friedrichs Melancholie", 1998
            Die Motive für seine beiden Kunstwerke hat Baselitz von dem Romantiker 
            Caspar David Friedrich geliehen. Wie es typisch für Baselitz 
            ist, hat er sie auf den Kopf gestellt, um die formale Komposition 
            zu betonen. Der Bezug zur deutschen Demokratiegeschichte ist hier 
            nur sehr lose, lässt er sich doch lediglich aus Friedrichs Bedeutung 
            für die Herausbildung einer deutschen Identität ableiten. 
          
          Osteingang, Untergeschoss: Christian Boltanski, "Archiv der 
            Deutschen Abgeordneten", 1999
            Das Kunstwerk des Franzosen Boltanski zeigt mittlerweile verrostete 
            Metallkästen, die in zwei Blöcken bis zur Decke gestapelt 
            sind und zwischen sich einen Gang freilassen, so dass sich eine Archiv-Situation 
            einstellt. Im Keller angesiedelt, soll Boltanskis Werk ähnlich 
            wie bei Sieverding das Fundament der Demokratie verbildlichen: Hier 
            sind es die demokratisch gewählten Abgeordneten. Die Kästen 
            sind mit den Namen der Abgeordneten beschriftet, die von 1919 bis 
            1999 ins Parlament gewählt wurden. Allen wird der gleiche 
            Erinnerungsraum zuteil; die Kästen der von den Nationalsozialisten 
            ermordeten Abgeordneten tragen jedoch einen schwarzen Streifen. Eine 
            einzelne schwarze Box präsentiert die Jahre von 1933 bis 1945. 
            Indem die Geschichte von der üblichen Gewichtung gelöst 
            wird, wird sie auf eine neue Art und Weise dargestellt, auch wenn 
            man kritisieren kann, dass der Bruch durch den Nationalsozialismus 
            etwas zu glatt ausfällt.
          Westseite: Katharina Sieverding, "Den von 1933 bis 1945 verfolgten, 
            ermordeten und verfemten Mitgliedern des Reichstages der Weimarer 
            Republik zum Gedenken", 1992
            Das in Schwarz, Rot und Gelb gehaltene, recht plakative Werk zeigt 
            die Röntgenaufnahme eines Rückgrats vor einem Flammenmeer. 
            Vor der Leinwand stehen drei Holzpulte mit Gedenkbüchern, die 
            an die verfolgten Reichstagsmitglieder erinnern. Durch seine unglückliche 
            Hängung wird Sieverdings Werk jedoch ad absurdum geführt: 
            Direkt an eine Lounge mit Ledersesseln anschließend, wirkt es 
            eher dekorativ als mahnend.
          Südseite: Günther Uecker, "Andachtsraum", 
            1998/1999
            Ueckers Andachtsraum arbeitet mit unbequemen Holzstühlen, einem 
            Granitaltar, einer nach Mekka ausgerichteten Bodenlinie, indirektem 
            Lichteinfall und lose an die Wände gelehnten Leinwänden, 
            auf denen spitze Steine, Nägel, Sand und Asche sich zu Kreuzen aufschwingen 
            und wieder abebben. Ob der Raum einladend wirkt oder harsch, 
            ob er zur Meditation einlädt oder zur Kunstbetrachtung, hängt 
            stark vom jeweiligen Besucher ab. Sein Ziel der Interkonfessionalität 
            erfüllt der Raum durch den starken Kreuzbezug allerdings nur 
            bedingt.
          Nördlicher Innenhof: Hans Haacke, "DER BEVÖLKERUNG", 
            1999/2000
            Haackes Installation besteht aus dem Schriftzug "DER BEVÖLKERUNG", 
            der in der gleichen Größe und Schrifttype wie die zentrale 
            Giebelinschrift "DEM DEUTSCHEN VOLKE" mit dem Gesicht nach 
            oben in einem der Innenhöfe liegt. Um die Buchstaben herum ist 
            Erde angehäuft, die die Abgeordneten aus ihrem Wahlkreis mitbringen. 
            Allein mithilfe von Luft, Licht und Wetter siedeln sich die verschiedensten 
            Pflanzen auf dem Kunstwerk an; ein menschlicher Eingriff findet nicht 
            statt. Eine Webcam zeichnet auf, wie die Installation sich verändert 
            (www.derbevoelkerung.de). 
            Das mit Abstand stärkste Werk der Kunst am Reichstag wurde zugleich 
            am kontroversesten diskutiert. Statt des Blutsbegriffs (deutsch ist, 
            wer dem deutschen Volk angehört) etabliert es den Boden als zentrale 
            Kategorie (deutsch ist, wer in Deutschland lebt). Was von Haacke als 
            Aufruf zu einem offenen, toleranten Deutschland gemeint war, wurde 
            teilweise in Erinnerung an die Expansionsbestrebungen des Dritten Reichs 
            negativ belegt. Teilweise ging es den Kritikern auch darum, dass das 
            Kunstwerk ein Korrektiv der zentralen Giebelinschrift darstellen könnte und 
            damit die deutsche Demokratieform in Frage zu stellen droht. Als einziges 
            Kunstwerk musste Haackes Installation eine parlamentarische Abstimmung 
            über sich ergehen lassen und wurde mit knapper Mehrheit befürwortet, 
            eine Entscheidung, zu der man nur beglückwünschen kann.
          Die Symbiose zwischen Kunst und Politik scheint also nicht in jedem 
            Fall gelungen: Oftmals leiden entweder die künstlerische Qualität 
            oder die politische Aussage an der Verbindung. In ihren unterschiedlichen 
            Herangehensweisen an deutsche Geschichte ist die Kunst am Bau des 
            Reichstagsgebäudes jedoch nichtsdestotrotz eine spannende Begegnung 
            zwischen Kunst, Architektur, Politik und Geschichte. Besichtigungen 
            sind nach Voranmeldung möglich.
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