FEBRUAR
2008

 
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KUNST

ASSORTED COCKTAIL
Martin Parrs bizarr-grelle Fotokunst

Das C/O Berlin zeigt zur Zeit die Retrospektive "Assorted Cocktail" mit Werken des britischen Fotografen Martin Parr. Dieser zelebriert auf seinen plakatgroßen grellen Fotos die Geschmacksverirrungen dieser Welt wie sicherlich kein Zweiter.


Als Martin Parr 1994 Mitglied der renommierten Fotoagentur Magnum Photos werden sollte, gab es innerhalb der Agentur Kampagnen, die dies zu verhindern versuchten. Letztendlich scheiterten diese Kampagnen, und Parr gilt heute als einer der profiliertesten Fotografen bei Magnum Photos. Dennoch steht diese Geschichte symptomatisch für Anfeindungen, denen sich Parr bis heute immer wieder augesetzt sieht.

Martin Parrs Stil gilt als ausgesprochen provokant, er lichtet mit starken farblichen Kontrasten die hässlichsten Seiten der Alltagskultur ab und erreicht damit eine Authenzität und Intensität, die einige Betrachter als ausgesprochen unästhetisch empfinden. Noch schwerer wiegt aber der Vorwurf, dass Parr die Personen, die er fotografiert, vorführt, sie der Lächerlichkeit preisgibt.

Und da viele dieser abgelichteten Personen jenem sozialen Milieu entstammen, welches man früher Proletariat nannte und das heute eher als Prekariat bezeichnet wird, war der Unmut über Parrs Werk besonders groß. Und tatsächlich ertappt man sich als Besucher der Ausstellung dabei, dass man beim Vergleich der auch nach Ländern unterteilten Foto-Serien darüber philosophiert, welche Nation nun die übleren Massentouristen hervorgebracht hat, England oder Deutschland.

Wer wirkt abstoßender, der bierbäuchige Deutsche, der sich mit einem Ekzem an der Hand eine überdimensionierte Wurst einverleibt, oder doch eher die Badegäste im englischen Brighton, die sich an der Theke einer Imbißbude wie Schweine an einem Trog zu scharen scheinen? Unentschieden, möchte man sagen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass die optischen Geschmacklosigkeiten der Unterschichten dieser Welt sich angleichen, die Nationalitäten austauschbar sind.

Doch greift auch das zu kurz, zum einen da sich Parr bei seinen Arbeiten keineswegs nur auf das Prekariat konzentriert, sondern inzwischen auch die aristokratische Oberschicht und die miefige Mittelschicht mit all ihren brachialen "Style crimes" dokumentiert. Zum anderen, da es in seinen Werken keineswegs nur um die Zurschaustellung von Geschmacklosigkeiten geht.

Die Serie "Bored couples" zeigt z. B. Paare unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sozialer Herkunft, denen gemein ist, dass sie alle gerade an einem Tisch sitzen und sich nichts mehr zu sagen haben. Diese Fotos wirken eher beklemmend-melancholisch denn abstoßend. Bei anderen Serien sind gar keine Personen zu sehen, hier werden Alltagsgegenstände (etwa Handys mit Verzierungen und Anhängern) als Bestandteil einer Kitsch- und Fetischkultur dargestellt.

Was Parr wirklich entlarvt, ist die Diskrepanz zwischen einer konstruierten, glatten Ästhetik, wie sie in der Werbung und in Lifestyle-Magazinen propagiert wird (und die man immer im Hinterkopf hat), und der brutalen Realität, in der Menschen sich ihr Heimatland in den Nacken tätowieren, Übergewicht zur Volkskrankheit geworden ist und in Plastik eingeschweißte Nahrungsmittel einem das Gruseln lehren.

Soziale Entfremdung, Konsumgeilheit, Kitsch, Massentourismus, Verfall der Esskultur usw. - die Liste der oft unschönen, grotesken Erscheinungen der modernen globalisierten Welt, die Martin Parr mit seiner Kamera festgehalten hat, ist lang.

Die Retrospektive "Assorted Cocktail" über die letzten 25 Jahre seines Schaffens kann hier nur einen kleinen Einblick gewähren. Sie ist aber dennoch ausgesprochen sehenswert und jedem zu empfehlen, der neben der typischen, überästhetisierten Kunstfotografie zur Abwechslung auch einmal ein schonungslos abgelichtetes Stück bizarr-greller Alltagsrealität sehen möchte.

"Assorted Cocktail" ist noch bis zum 02.03.08 im C/O Berlin (Postfuhramt) an der Ecke Oranienburger Straße / Tucholskystraße täglich von 11 bis 20 Uhr zu sehen. Der Eintritt beträgt 5 bzw. ermäßigt 4 Euro.

nw

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