JUNI
2004

 
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LITERATUR


Dichterwettbewerbe: Schneller, höher, weiter - lyrischer, wortgewandter, reimender

 

Eigentlich müsste man denken, dass sich der Dichter in den Sphären der Muse, fern von jedem Gedanken an schnöden Wettbewerb und weltlichen Ruhm bewegt. Doch weit gefehlt. Der Dichterwettstreit hat eine lange Tradition, ungeahnte Ableger, wie wir sehen werden, und eine ganz moderne Variante.

Bereits von Homer, dem Verfasser der Ilias und der Odyssee, wird gesagt, er habe trotz seiner Popularität einst einen Dichterwettstreit gegen seinen Kollegen Hesiod verloren und zwar deshalb, weil der Schiedsrichter wohl Pazifist war und die friedliche der kriegerischen Handlung in den Gedichten der beiden Vortragenden vorzog. Der berühmte spanische Poet Calderón (1600-1681) konnte sich dagegen früh einen Namen machen, indem er als 19-jähriger einen Dichterwettstreit zu Ehren des heiligen Isidorus gewann. Und nicht zuletzt entstanden einige von Goethes Balladen quasi in einem Wettstreit mit Schiller.

Dies sind natürlich nur wenige Beispiele für solch geistiges Wetteifern. Womit man aber wohl noch weniger rechnen würde, ist, dass dieser geistige Sport als Wettbewerbsdisziplin neben dem körperlichen stehen könnte. Und dennoch war dies eine Zeit lang der Fall, dass neben zähen Langstreckenläufern, muskelbepackten Kugelstoßern und gelenkigen Turnern sich die "intellektuellen Kraftprotze" ein Stelldichein lieferten: Zwischen 1912 und 1948 waren in der Tat teilweise Disziplinen wie architektonische Entwürfe, Bildhauerei, Literatur / Dichtung, lyrische, dramatische und epische Werke Teil der Olympischen Spiele. So erhielt z. B. 1912 in Stockholm Baron Pierre de Coubertin, der Wiederbegründer der olympischen Idee unter einem Pseudonym die Goldmedaille für seine "Ode an den Sport". Allerdings wurden wohl nicht immer genügend würdige Arbeiten zur Ehrung gefunden. Und das zeigt vielleicht auch die Schwierigkeit, Dichtung, die nicht wie ein Weitsprung in Metern, Zentimetern und Millimetern zu messen ist, zu bewerten und zu küren.

Zwar würde man bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 nur noch aus Unverständnis mit dem Kopf schütteln, wenn ein Wortakrobat seine Kunsttücke im Wettbewerb vortragen wollte, doch ganz fremd ist der Gedanke des Dichterwettstreits auch heute nicht. Vielleicht nennt er sich anders, wohl hat er auch und gerade seine elitäre Prägung verloren, aber es gibt ihn noch: Bei sogenannten "Poetry Slams" treffen sich Künstler, um nacheinander in einem bestimmten Zeitlimit ihre Werke zum Besten zu geben. Natürlich unter den kritischen Augen des Publikums oder einer Jury, die die Sieger auswählen. Hierbei werden oft durch den Vortragsstil, die musikalische Unterlegung, etc. ganz neue Effekte erzielt.

Wie schon die englische Bezeichnung andeutet, liegen die Wurzeln dieser neuen Art der poetischen Wettbewerbe in den USA. Deren Geburtsorte sind Chicago (Green Mill Jazz Club) und New York (Nuyorican Poets Café). Von dort breitete sich das Ganze seit Mitte der 80er sehr schnell aus. Sogar auf MTV wurden kurze Poetry-Clips als Lückenfüller gesendet. Auch in Deutschland hat sich mittlerweile eine ganze Szene etabliert und in fast jeder größeren Stadt (v. a. Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, München, Berlin) finden regelmäßig Slams statt. Außerdem gibt es inzwischen einen National Poetry Slam in Deutschland.

Ob nun würdige antike Poeten ihre Hexameter kunstvoll aneinanderfügten oder abgefahrene Künstler ihre manchmal noch abgefahrenere Vorstellung heutzutage auf einem Slam darbieten, das Publikum kam und kommt sicherlich immer wieder auf seine Kosten.

bk