APRIL
2003

 
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LITERATUR


Jonathan Franzen: "Anleitung zum Einsamsein"

Jonathan Franzen
"Anleitung zum Einsamsein"
("How to be alone")
Rowolth 2002

 

 

Über Jonathan Franzen ist im Zuge seines Bestsellers "Die Korrekturen" viel geschrieben worden. Bislang ist dieser im Mittleren Westen aufgewachsene und meist in New York lebende Autor der deutschsprachigen Leserschaft über seinen viel beachteten Durchbruchs-Roman hinaus kaum bekannt. RORORO veröffentlichte im Oktober 2002 einen Essayband, der verschiedenste Texte von Franzen aus den vergangenen Jahren zusammenfasst. Persönliche Geschichten und sprachlich brillante Reportagen sind hier miteinander vereint und werden zu einem Gesamtporträt der zeitgenössischen US-Gesellschaft verwoben.

Franzens Recherchen reichen vom US-Postwesen in Chicago über die Analyse von Sex-Ratgebern bis zur tristen Situation in den Hochsicherheitstrakts der Gefängnisse in Colorado. Dabei erzählt er nicht so effekt-heischend wie sein Landsmann Michael Moore mit dem z.Z. populären Beststeller "Stupid White Men", der Thesen zum Film "Bowling for Columbine" vertieft. Die tiefschürfende Kritik an den gesellschaftspolitischen Strömungen in den USA haben Moore und Franzen aber gemein - auch wenn sich Jonathan Franzen dabei gern zum einsamen Streiter seiner Kultur stilisieren möchte. Hat sein Verlag deshalb diesen Titel verzapft?

In "Die erste Stadt" von 1995 reflektiert Franzen die Urbanität New Yorks, zieht Vergleiche zu europäischen Städten - ein Beitrag, der nach der am Irak-Krieg politisch entbrannten Diskussion um neuer und alter Welt aktueller denn je ist.

Besonders eindrucksvoll erschienen mir aber die Geschichten, wo Jonathan Franzen sehr persönlich Bezug zum Tod seiner Eltern nimmt. In der ersten Erzählung "Das Gehirn meines Vaters" wird deutlich, dass die Figur des Alzheimer-kranken Alfred Lamberts in den "Korrekturen" deutlich auf autobiografische Hintergründe basiert, die in diesem Essay zu einer besonders dichten, beeindruckenden Story kondensiert sind. Durch die Ich-Perspektive gewinnt dieser Essay meines Erachtens in seiner Emotionalität sogar über Franzens großartigen Roman. In "Besuchen Sie mich in St .Louis" verschafft Franzen Einblicke in die Vermarktung der Literatur durch die US-Medien. Die Werbekampagne von Oprah Winfreys Buchclub für seinen Bestseller-Roman zwingt den Autor zu einer unguten, wenig überzeugten Rückkehr in seine Heimat. Die Gedanken, die ihm dabei zum Tode seiner Mutter kommen, wirken wie eine Klammer zwischen dem ersten Essay und dem Schluss dieses Bandes, der den "Fans" der "Korrekturen" sicher viel Background-Informationen liefert.

In seinen Essays stellt sich Jonathan Franzen als sensibler US-Intellektueller dar, der sich oft als Fremdkörper in seiner Kultur sieht: "Es hat etwas Verlockendes, sich den Widerstand des amerikanischen Schriftstellers gegen den Technikkonsum - ein Widerstand, der leider meist durch materielle Not bedingt ist - als eine Spielart des politischen Widerstands vorzustellen" (S.242).

Franzen versucht auch immer wieder eine Standortbestimmung der anspruchvollen, amerikanischen Literatur, die gegen das Massenmedium Fernsehen immer chancerloser scheint: "Literatur ... sei die Verwandlung der Erfahrungsschlacken in sprachliches Gold. Literatur bedeute, etwas Schönes aus den Dingen zu machen, die die Welt achtlos beiseite geworfen hat" (S.229). Genau das gelingt Franzen hier - er schafft aus seinen diversen Stories und Reportagen ein schönes und packendes Zeitdokument, das auf weitere Texte und Romane des neuen großen US-Literaten hoffen lässt.

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