NOVEMBER 01
 
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LITERATUR


Heinrich Heine - Der Dichter zwischen allen Stühlen
Heinrich Heine

Gibt es im Werk und im Leben des deutschen Dichters Heinrich Heine eine Konstante oder ein Leitmotiv, so ist es die Zerrissenheit. Heine war der Dichter zwischen allen Stühlen. Zwischen zwei Ländern - Deutschland und Frankreich. Zwischen zwei Religionen - der Jude Heine konvertierte zum Protestantismus, ohne jemals wirklich religiös zu sein. Zwischen den beiden wichtigen Frauen in seinem Leben - wie viel wurde doch über seine Beziehungen zu Mathilde und Mouche geschrieben. Zwischen den literarischen Strömungen des 19. Jahrhunderts - der Romantik gehörte er nicht mehr an, dem Realismus noch nicht, dem Jungen Deutschland vielleicht. Zwischen politischen Strömungen - einerseits verehrte er Napoleon I und akzeptierte Napoleon III als dessen legitimen Nachfolger, andererseits war er mit Karl Marx befreundet und schloß sich der frühsozialistischen Bewegung der Saint-Simonisten an.

Ein anderes politisches Projekt beschäftigte Heinrich Heine seit seiner Ankunft in Paris 1831. Er machte es sich zur Aufgabe, den Franzosen deutsche Philosophie und deutsche Literatur näher zu bringen. Vor allem wollte er das von Madame de Staël geprägte Deutschlandbild korrigieren. 1833 erschien Heines Erwiderung, die den gleichen Titel trug wie das Buch seiner Vorgängerin: „De l’Allemagne“. Heine ließ Teile seines Buches - die literarhistorischen - in der Zeitschrift „Europe littéraire“ publizieren. Er selbst erklärte: „Ich werde in jenem Journale alles Mögliche thun, um den Franzosen das geistige Leben der Deutschen bekannter zu machen; dieses ist meine jetzige Lebensaufgabe, und ich habe vielleicht überhaupt die pacifike Mission, die Völker einander näher zu bringen.“

Heine beließ es jedoch nicht bei einem einseitigen Engagement, sondern versuchte auch die Deutschen an die französische Kultur heranzuführen - was aufgrund eines Publikationsverbotes in Preußen und Österreich ab 1835 und in Bayern ab 1836 deutlich erschwert wurde. Immer noch um einen Transfer bemüht, verkehrte er mit anderen Emigranten - wie Giacomo Meyerbeer, Franz Liszt oder seinem Rivalen Ludwig Börne - und mit deutschen Parisbesuchern. In den Jahren 1843 und 1844 ignorierte er die Gefahr verhaftet zu werden und unternahm zwei Reisen nach Deutschland. In Hamburg besuchte er seine alte Mutter und verhandelte mit seinem deutschen Verleger Julius Campe.

In „Der Fall Heine“ faßt Marcel Reich-Ranicki Heines Anliegen zusammen: „Er schwärmte in Deutschland für die Französische Revolution, er schrieb über französische Zustände, französische Maler und die französische Bühne, über England und Italien. In Frankreich erläuterte und rühmte er die deutsche Romantische Schule, er belehrte die Franzosen über die Geschichte der Religion und der Philosophie in Deutschland. Den Blick der gebildeten Deutschen lenkte Heine auf Europa, und auf ungeahnte, auf überraschende Weise belebte und steigerte er das Interesse Europas an deutschem Geist, an deutscher Kultur.“

Die Zerrissenheit dominierte nicht nur das Wesen Heinrich Heines, sondern auch die Rezeption seines Werkes. Noch heute. Kein deutscher Dichter polarisierte schon zu seinen Lebzeiten so stark wie Heine. In Deutschland besaßen und besitzen seine Verse eine große Volkstümlichkeit. So verschwand „Das Lied von der Loreley“ im 3. Reich nicht aus den Lesebüchern, sondern wurde mit dem Kommentar „Dichter: unbekannt“ versehen. Dennoch wurde er beschimpft und hartnäckig bekämpft, von der Zensur eingeschränkt und in Preußen als Staatsfeind eingestuft. Ganz unschuldig an diesen heftigen Reaktionen auf seine Publikationen war er nicht. Heine war ein Polemiker, ein Provokateur. Gehässige Scherze auf Kosten anderer und bösartige Seitenhiebe bereiteten ihm Vergnügen. Er scheute nicht davor zurück, als Argumente gegen seine Feinde und Konkurrenten deren Impotenz, Homosexualität oder Durchfallerkrankungen anzuführen.

Niemand wird jedoch bezweifeln, daß die radikale Entpathetisierung der deutschen Dichtung mit ein Verdienst Heines ist. Er gilt als würdiger Nachfolger des Lord Byron, dessen Grundthemen – enttäuschte Liebe und Todessehnsucht – auch Heines Themen waren. Seine nüchterne Sprache, sein Witz, sein Esprit machten ihn zum Vorbild vieler Lyriker des 20. Jahrhunderts. Die Autoren der „Neuen Sachlichkeit“ – Kurt Tucholsky, Mascha Kaléko, Erich Kästner, Joachim Ringelnatz, Klabund, ... – bezogen sich direkt auf ihren Wegbereiter. Mascha Kaléko sprach sogar vom „Urvater Heine“. Heines Modernität besteht vor allem darin, daß er Heimatlosigkeit, Weltschmerz und verlorene Illusionen beschrieb, als die Romantiker ihren Lesern noch eine heile Welt vorgaukelten.

In Frankreich war die Rezeption vor allem vom jeweiligen Stand der deutsch-französischen Beziehungen bestimmt. In den 60er und 70er Jahren war die Debatte um Heine stark politisiert. Die rechts-konservative Kritik konzentrierte sich ausschließlich auf das Werk. Die politischen Ansichten Heines seien irrelevant. Die Kontakte zu den Saint-Simonisten und der Briefwechsel zwischen Heine und Marx wurden ignoriert. Die linke Kritik dagegen vereinnahmte den Dichter ideologisch. Heine wurde als französischer Dichter stilisiert. Der Bruch mit Deutschland wurde betont – obwohl er so nie statt gefunden hatte. Vermutlich hat Marcel Reich-Ranicki recht, wenn er schreibt: „Ein Genie der Haßliebe war er – und niemanden haßte und liebte er mehr als die Deutschen und die Juden.“ Heine selbst offenbarte in dem Gedicht „Anno 1839“ sein Heimweh: „O Deutschland meine ferne Liebe,/Gedenk ich deiner wein ich fast!/...“

Heinrich Heine als französischen Dichter zu bezeichnen, scheitert schon allein daran, daß Zeit seines Lebens seine Französischkenntnisse nicht ausreichten, um auf Französisch zu dichten. Wie eine ganze Autorengeneration hundert Jahre nach ihm, machte Heine im Exil die Erfahrung, ein Dichter ohne Sprache zu sein. Seine Erfolge in Frankreich verdankte er Übersetzern. Saint-René Taillandier, der unter anderem den „Romanzero“ ins Französische übertrug, erklärte nach Heines Tod: „Obgleich man in Frankreich und Deutschland meist der gegenteiligen Ansicht ist, wußte Heine nicht in unserer Sprache zu schreiben; er kannte sie vorzüglich, er konnte ihre Feinheiten und ihren Schliff beurteilen, aber er war unfähig einen eleganten Satz zu bauen, der nicht von Germanismen in seinem Fluß gestört wurde.“

Heinrich Heine ist dennoch einer der wenigen deutschen Dichter von europäischem Rang – wenn nicht sogar ein Weltpoet. Als Resultat seiner Bemühungen zur deutsch-französischen Verständigung wurden einige seiner Gedichte fester Bestandteil des Deutschunterrichts in beiden Ländern. Heinrich Heine würde sicher eine amüsante Bemerkung dazu einfallen.

vh