MÄRZ
2003

 
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LITERATUR


Siri Hustvedt: "Was ich liebte"
Siri Hustvedt
"Was ich liebte"

 

 

Leo hat eine Schublade. In der bewahrt er Gegenstände auf, die ihn an das erinnern, was er vermisst. Oder an den, den er vermisst. Vor dem Schlafengehen öffnet er oft diese Schublade und beschäftigt sich mit diesen Gegenständen. Er nimmt sie in die Hand, schaut sie an oder ordnet sie neu an. Es hilft dem inzwischen alt gewordenen Mann, an das zu denken, was er liebte.

Leo ist Kunsthistoriker. Er lebt mit Frau und Kind in New York, genauer im Künstlerviertel Soho. Sein Leben ist glücklich, insbesondere weil er Bill kennen lernt, einen Künstler, der ihm zum Freund wird. Auch Bill ist verheiratet und hat ein Kind, das genauso alt ist wie Leos Sohn. Die beiden Familien leben im gleichen Haus, verbringen die Ferien miteinander und sind füreinander da. Alles ganz schön, alles ganz harmonisch. Bis ein tragischer Unfall dieses wunderbar aufgebaute Glück zerstört und danach das Leben dieser beiden Familien Stück für Stück auseinanderfällt.

Das Lesen eines schlimmen Schicksals macht mich als Leserin zuweilen zwar betroffen, doch gibt es mir auch das Gefühl, dass es mir selbst doch so viel besser geht - denn, was hat die Geschichte mit mir zu tun? Bei Siri Hustvedt klappt das nicht. Der erste Teil des Romans, die glückliche Zeit von Leo, seiner Familie und seinen Freunden, plätschert einfach so dahin. Seitenlang passiert eigentlich nichts Spektakuläres. Die Familien leben so vor sich hin und ich fragte mich beim Lesen, bleibt das eigentlich so? (Ich wusste nichts von dem Unfall, denn ich hatte den Klappentext nicht gelesen.) Obwohl diese Zeit plotmässig so spannungslos war, langweilte ich mich aber nicht, sondern fühlte mich wohl und nahm Anteil an diesem glücklichen Leben. Und gerade deshalb habe ich dann auch im zweiten Teil des Romans, der dann ungleich rasanter in der
Entwicklung ist, so gefesselt dieses Schicksal verfolgt. Was ist an dieser Geschichte anders als an den oben erwähnten? Es hat mit mir zu tun. Denn selten wurde mir mit einem Roman so klar gemacht, wie schnell ein einziges Ereignis, alles im Leben umkehren kann - egal, wie sehr man sich bemüht.

Neben dieser Geschichte über "das Leben" hat Hustvedt auch einen Roman über New York, seinen Menschen und die dortige Kunstszene geschrieben. Das ist schon interessant, allerdings geht sie zuweilen bei der Beschreibung der Kunstwerke, die Bill fertigt, zu sehr ins Detail. Die Entwicklung der Charaktere dagegen beschreibt sie sehr präzise und damit gelingt es ihr auch, die Nähe zu ihnen herzustellen.

"Was ich liebte" ist Siri Hustvedts dritter Roman und sicher ihr stärkster bisher. Allerdings war ich schon sehr begeistert von ihrem ersten Buch "Die unsichtbare Frau". Es ist die Geschichte einer psychisch labilen, jungen Frau und ihren diversen Geliebten. Permanent hatte ich das Gefühl, gleich driftet dieseFrau komplett ab, doch Hustvedt beschreibt diese Gratwanderung zwischen Wahnsinn und "Normalität" perfekt.

Siri Hustvedt wurde 1955 in Northfield, Minnesota, geboren. Sie studierte Literatur an der New Yorker Columbia University und promovierte mit einer Arbeit über Charles Dickens. Sie lebt in Brooklyn und ist mit dem Schriftsteller Paul Auster verheiratet, mit dem sie eine Tochter hat.

sf