FEBRUAR
2003

 
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LITERATUR


Literatenstraßen: Anna Louisa Karsch(in)

Das abgebildete Straßenschild findet sich in Berlin-Mitte. Der betroffene Straßenabschnitt trug in den vergangenen Jahrhunderten eine Vielzahl von Namen: Bei der Pomeranzenbrücke (ca. 1700-1786), Neue Friedrichstraße (um 1786-1951), Littenstraße (1951-1978) und Burgstraße (1978-2000). Im Rahmen des Abrisses des Mitte der achtziger Jahre errichteten Palasthotels und der Neubebauung des Areals wird auch der alte Verlauf der Burgstraße parallel zur Spree wieder hergestellt werden. Deshalb erhielt der abknickende Teil am 15. 1. 2000 seinen Namen nach der Dichterin Anna Louisa Karsch - kurz die Karschin genannt -, die einst in unmittelbarer Nähe in der Neuen Promenade 1 gewohnt hatte.

ZUR ZUSAMMENFASSUNG DES ARTIKELS

Die nachmalige Karschin wurde am 1. 12. 1722 als Tochter des Bauerngastwirtes Christian Dürbach auf der Meierei "Hammer" zwischen Züllichau und Krossen (Neumark) geboren. Ihr wohlsorgender Vater starb bereits 1728. Ihre Mutter gab sie nach Tirschtiegel bei Meseritz (Posen) zu ihrem Großonkel. Dieser war Amtmann und brachte ihr Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Sie sollte dort vier glückliche Jahre verleben, die die einzigen waren, in denen Anna Louisa eine Ausbildung erhielt. Kurz nachdem ihr Oheim begonnen hatte, ihr Grundkenntnisse in Latein zu vermitteln, forderte ihre mittlerweile wiederverheiratete Mutter sie als Magd und Wärterin der Geschwister zurück. Auch mußte sie als Viehhirtin dienen. Während sie Rinder zu hüten hatte, las sie die alten deutschen Volksbücher, Märchen aus Tausendundeiner Nacht und den "Robinson Crusoe". Diese wahre Begebenheit und die selbst für eine bescheidene Kleinstädterin erniedrigende Arbeit des Viehhütens wird sie später zu einer poëtischen Legende ausgestalten.

Natürlich war es, daß solch ein Mädchen früh und schlecht verheiratet wurde. 1738 mußte sie mit fünfzehn Jahren den Tuchmacher und -händler Hirsekorn in Schwiebus ehelichen. Ihr Mann war fleißig-berechnend, geizig und hatte für Schöngeistiges keinerlei Sinn. Als es 1745 das Gesetz erlaubte, ließ sich diese biedere Krämerseele nach elf Ehejahren schleunigst von ihr scheiden.

Ohne jegliche Unterstützung und mit einem weiteren Kind im Bauch, konnte sie von ihrer Unabhängigkeit keinerlei Gebrauch machen. Völlig mittellos heiratete sie bald ihren zweiten Mann, den mitleidigen wandernden Schneider Karsch, dem sie ins polnische Fraustadt folgte. Hier sollte Anna Louisa drei weitere Kinder zur Welt bringen. Sie begann, sich und ihren Nachwuchs von den Gaben für Gelegenheitsverse zu ernähren. Strophen für Leichencarmina, Sprüche für Taufen, Hochzeiten, Schnellreime aus dem Stehgreif zur Unterhaltung und Erheiterung einer verblüfften Gesellschaft - Verse, wie sie dann und wann verlangt wurden, und sie erhielt dafür Almosen. Ihr erstes Honorar war ein geschenkter Rock. Es war die Not, die sie dichten lehrte. Sie war eine Marketenderin der Poësie, keine Dichterin.

Lehrer und Pfarrer wurden auf sie aufmerksam und ermöglichten ihr 1755 die Übersiedlung ins preußische Glogau. Im Siebenjährigen Krieg schrieb sie Gesänge auf die Siege Friedrich des Großen, die auf Flugblätter gedruckt wurden und ihren Ruhm nach Berlin trugen, wo Moses Mendelssohn ihr zunächst ein "ungemeines Genie" bescheinigte. Diese Hymnen auf den König führte sie bei Junkersfamilien ein. Durch die Bekanntschaft mit den preußischen Offizieren bot sich ihr endlich auch die Gelegenheit, sich ihres trunksüchtigen und gewalttätigen zweiten Mannes zu entledigen, indem sie ihn mit Hilfe ihrer Bekannten zum Militär einziehen ließ. Ihr Selbsterhaltungstrieb setzte ihrer Herzensgüte eine vernünftige Grenze, als Karsch sie anbettelte, wieder zu ihr zurückkehren zu dürfen.

Im Januar 1761 brachte Baron von Kottwitz die Karschin in die preußische Hauptstadt. Mit überschwenglichen Worte berichtete Johann Georg Sulzer dem Zürcher Dichter und Kritiker Bodmer von ihrer Ankunft: "[...E]ine Dichterin, die blos die Natur gebildet hat und die, nur von den Musen gelehrt, große Dinge verspricht. [...] Sie besitzt einen ausnehmenden Geist, eine schnelle und sehr glückliche Vorstellungskraft. Sie drückt sich über alles mit der größten Fähigkeit so gut aus, wie irgend ein Mensch tun kann, der sein ganzes Leben mit Nachdenken zugebracht hat [...]. Ich zweifle sehr, ob jemals ein Mensch die Sprache und den Reim so sehr in seiner Gewalt gehabt hat, als diese Frau."

Die Berliner Gesellschaft verfolgte sie mit Neugier und Gunstbezeugungen aller Art, denn sie besaß drei Eigenschaften, die wenig zusammenzupassen schienen. Sie war eine Frau, sie war häßlich und sprach in Versen. In fast allen Zeiten verbinden sich aber das Weibliche und die Poësie mit Vorstellungen von Schönheit, und so mußte es verblüffen, daß sie sich plötzlich in so robuster Gestalt zeigten. In den vornehmen Häusern der Stadt wurde sie herumgereicht, als Naturphänomen bestaunt und aufgefordert, ihr Talent zu beweisen. Ihr wurden Reimworte zugeworfen, wie einem Jongleur die Bälle. Sie mußte sie balancieren und ordnen. Die Reihe "Ehe, Sehe, Paradies, Ließ, Seide, Freude, Brust, etc..." verwandelte sie, wie sie es gewohnt war, in Blitzesschnelle in folgendes Gelegenheitsgedicht:

Sei mir gesegnet, goldne Ehe,
Die ich in einem Traum mit Seelenauge sehe!
Du lächelst und du bist vielleicht das Paradies,
Das nicht ein Gott verschließen ließ.
Du knüpfest Herzen nur mit Banden weicher Seide,
Und ihr Geschäft ist nichts als Freude,
Aus beiden wird nur Eine Brust! [...]
Die Gesellschaft sprang mit der Dichterin um, wie der Adel grundsätzlich mit dem gemeinen Volke. Doch wäre sie lediglich dem Mutwillen der höheren Gesellschaft ausgeliefert gewesen, wäre sie kaum in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen. Die biedere Karschin kümmerte sich weder um manieristisches Gehabe noch um Verslehre und metrische Gesetze, sondern verließ sich einfach auf ihren Menschenverstand, auf ihr spontanes musikalisch-rhythmisches Empfinden. Damit galt sie als ein Naturereignis für die Dichter und Gelehrten.

Im Zentrum der Legende vom Mädchen, an das der Ruf zur Poësie allein durch die Stimme der göttlichen Natur ergangen sei, steht eine von der Karschin erfundene und von allen Biographen geglaubte Szene. Die oben erwähnten Leseerlebnisse während des Rinderhütens gestaltete sie wie folgt aus: Eines Tages soll die Hirtin, indem sie ein flüchtendes Rind verfolgte, auf einen Lesenden Hirten gestoßen sein. In Jördens' Literaturlexikon erhielt, indem er den theoretischen Ansatz Sulzers weiterdichtete, dieser Hirte dann den Namen Aesop.

Bereits im Jahre 1761 besuchte Gleim sie in Berlin. Der dichtende Kanonikus war der erste, der den Ruhm der Karschin von seinem Amtssitz in Halberstadt aus bei all seinen Freunden verbreitete. So unternahm sie auch bald eine Reise zu ihm. Dort führte er die "deutsche Sappho" seinen Domherren vor, wo sie feierlich zur Dichterin gekrönt wurde.

Nach ihrem Aufenthalt in Halberstadt wohnte die Karschin ein Jahr in Magdeburg. Hier wurde sie ebenso gefeiert und reich beschenkt. Hatte sie die Siege Friedrich des Großen besungen, so drang ihr Ruf auch an den Hof. Vor den russischen Truppen war die Königin nach Magdeburg geflohen, und somit wurde die Karschin von ihr 1762 zu Tee und Vortrag geladen. Für Prinzessin (Anna) Amalie, die komponierende Schwester des Königs, schrieb sie den Text zu einer Kantate. Bei jeder festlichen Gelegenheit erwies sie der vielköpfigen königlichen Familie ihre Reverenz in Versen und knüpfte damit enge Beziehungen zum Hof Elisabeth Christines.

Die dichtenden Grafen zu Stolberg-Wernigerode zahlten ihr - wie später die Herzöge von Braunschweig - ein jährliches Taschengeld. Für ihren Lebensunterhalt sollte dies jedoch nicht ausreichen. Als sie im Oktober 1762 nach Berlin zurückkehrte, mußte sie mit Elendsquartieren vorliebnehmen. Sie wohnte schließlich in einer Behausung unterm Dach - "einer Kammer in der Bastille gleich", wie sie dies kommentierte.

Die Anfänge der Literatur standen zudem im Preußen Friedrich des Großen unter keinem günstigen Stern. Der "Philosoph von Sans-Souci" las und schrieb nur Französisch. Zu den wenigen deutschen Schriftstellern, denen der König Aufmerksamkeit und Audienz gewährte, gehörte der sächsische Fabeldichter Gellert. Daß die Karschin - mit der der Monarch im übrigen die Schwäche in der deutschen Orthographie gemeinsam hatte - Beachtung fand, hatte sie nur ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Nach mehrwöchigem Antichambrieren wurde sie endlich - wohl nicht ohne Hilfe des ihr geneigten Generals von Seydlitz und des königlichen Gesellschafters Guichard, der schnell zwei ihrer Gedichte ins Französische übersetzen ließ - am 11. 8. 1763 zur Audienz vorgelassen. Der König versprach ihr ein Haus und eine Jahrespension - erhalten sollte sie dies jedoch nicht!

Dagegen hielt Gleim sein Versprechen der Veröffentlichung ihrer Verse. Zusammen mit Sulzer gab er 1764 die "Auserlesenen Gedichte" heraus. In allem, was sie zu Papier brachte, war sie zugleich angepaßt und ungewöhnlich, modern und altmodisch. Daraus zog sie ihren Ruhm, daß sie eine Figur zwischen den Zeiten war. Gerade aus dieser Verwirrung der Maßstäbe, die Dichter und Gesellschaft hatten, war sie zur Berühmtheit geworden. Erst als sie sich festlegte, indem ihre Gedichte als Buch vorlagen, schwand ihr Glück. Bereits Sulzer wurde es bang, als er sah, was sie ihm für die Zusammenstellung vorlegte. Täglich belieferte sie ihn mit einer Vielzahl von Gedichten, unter denen kaum ein mittelmäßiges hervorstach. Als ihre Verse nun schwarz auf weiß vorlagen, konnte verglichen und geurteilt werden. Die Karschin hatte Gelegenheitsdichtung verfaßt. Diese in einem Buch zu verewigen widerspricht deren Zwecken. Da sie Poësie als ein Handwerk betrieb, um davon zu leben, dichtete sie beispielsweise für Feiertage feierlich, was in diesem Rahmen ankam. Ihre Metaphorik von Blitz und Donner, Sturm und Regenguß, brennender Sonne und kühlender Nacht ist die des barocken (Herrscher-)Gedichts. Just dieser hohe Ton galt für das aufgeklärte Zeitalter aber als abgeschmackt.

In seinen Literaturbriefen widmete Moses Mendelssohn der Karschin sechzig Seiten. Er ging jeden Vers durch, entdeckte zwar viele gute Anlagen, konstatiert aber - war bei aller Stilisierung als Naturgenie verwundert - Mangel an Bildung. Nun wurde sie - da sie ja die deutsche Sappho sein sollte - wegen ihrer Ungebildetheit gerügt. Nicht einmal die Aussprache der Griechischen Namen, mit denen sie spiele, beherrsche sie - die Metren zeigen, daß sie deren Betonung oftmals auf die falsche Silbe lege. So wollte auch Herder, der gerade die Lehre von der Naturhaftigkeit des Genies auf den Punkt gebracht hatte, an dieser deutschen Sappho nichts vom Griechentum erkennen.

Fiel das Urteil der Kritiker also niederschmetternd aus, so mußte die Karschin zum reinen Broterwerb dennoch weiterdichten. Auch betrieb Gleim für sie das Geldgeschäft weiter, indem er 2000 Taler günstig anlegte, so daß sie von den Zinsen gut hätte leben können. Jedoch konnte sie sich aus dem traditionellen Sippendenken nicht loslösen, und so mußte sie zahlreiche Geschwister und Halbbrüder miternähren.

Zehn Jahre nach der Audienz beim König, also 1773, wurde sie erneut vorstellig mit der Bitte, ihr nunmehr das versprochene Haus in Berlin zu schenken. Als Antwort bekam sie ein Schreiben mit Hofstaatssiegel und zwei Talern Inhalt. Sie schickte das Almosen zurück, was ihr, nicht aber dem Monarchen zur Ehre gereicht:

Zwey Thaler gibt kein großer König,
Ein solch Geschenk vergrößert nicht mein Glück,
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb ich es zurück.

Mit dem jungen Gœthe führte die Karschin über Jahre Korrespondenz. Er erfreute sich an der Unverwüstlichkeit dieser Person, die ein Stück Komödie im Leben war. 1775 schrieb er ihr: "Schicken Sie mir doch auch manchmal was aus dem Stegreif, mir ist alles lieb und werth, was treu und stark aus dem Herzen kommt, mags übrigens aussehen wie ein Igel oder wie ein Amor." 1778 besuchte er sie dann auch während seines Berlinaufenthaltes.

Als im Jahre 1783 an der Fischerbrücke eine passende Baustelle gefunden war, wandte sie sich erneut an den König und bekam als Antwort diesmal drei Taler zum Geschenk. Auch diese sandte sie zurück. Erst Friedrichs Nachfolger Friedrich Wilhelm II. löste aus Anlaß seines Regierungsantritts 1786 das königliche Versprechen ein. Als sie endlich im Mai 1789 in ihr Haus in der Neuen Promenade 1 einziehen konnte, sollten ihr nur noch zwei Jahre bleiben.

Während einer Reise nach Frankfurt/Oder erkrankte sie. Nach ihrer Heimkehr nach Berlin verstarb sie am 12. 10. 1791. Sie wurde neben der Berliner Sophienkirche begraben. Noch heute findet sich an der Kirchmauer die Tafel mit der Inschrift: "Kennst Du, Wandrer, sie nicht, / So lerne sie kennen."

Um die Leistung der Karschin gerecht zu würdigen, muß zwischen Gelegenheits- und Erlebnisdichtung im Gœtheschen Sinne und Kunstproduktionen unterschieden werden. Zu den letzteren gehört die Menge der Fabeln, Epigramme, Anakreontika, Idyllen und Romanzen, die sie vor allem in den 60er Jahren verfaßte.

Bei solchen Werken der feilenden Stilkunst versagte sie zumeist. Wenn sie aber ihren natürlichen Empfindungen freien Lauf ließ, dann wurde sie zu einer kühnen Wortschöpferin und kann noch heute unmittelbar berühren. Vor allem die Briefe an Gleim zeigen eine Unmittelbarkeit, wie sie in der deutschsprachigen Literatur bis 1770 nicht anzutreffen ist.

Dennoch sollte nicht übersehen werden, daß sie zu den Literarisierungsbestrebungen ihrer Person durch die Freunde selbst beitrug. Der Text der vier autobiographischen Briefe aus den Jahren 1761/62 zeigt durch Inhalt, Aufbau, Stil und Darstellungsform, daß es sich bereits um einen gestalteten Lebensbericht handelt. Die oben erwähnte Legende, wie sie durch einen Viehhirten zum Lesen gekommen sei, zeigt dies deutlich. Es ist aber gerade die Literarisierung ihrer Lebensgeschichte, wodurch die Karschin im kulturellen Gedächtnis bewahrt lieb. Denn ihre Gedichte tauchten nach dem Zusammenbruch Preußens in der Napoléonischen Ära kaum noch in Anthologien auf. Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sie in Zuge völkischer Ideologie in der Ahnenreihe deutscher Frauendichtung wiederentdeckt - ein Ruhm, der ihr gerade noch gefehlt hat.

Erst mit der feministische Bewegung begann der Versuch, der Karschin als "erster Frau in Deutschland, die sich ihren Lebensunterhalt mit Schreiben verdiente" gerecht zu werden. In diesem Rahmen gälte es auch, sie als Briefschreiberin und deren literaturhistorische Funktion zu entdecken und umfassend zu würdigen.

Werkausgaben (Auswahl):
Beuys, B. (Hg.in); Herzgedanken. Das Leben der "deutschen Sappho" von ihr selbst erzählt; Ffm 1981.
Nörtemann, R. (Hg.in); Mein Bruder in Apoll. Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. 2 Bd.e; Göttingen 1996.
Karschin, A.-L.; O, mir entwischt nicht, was die Menschen fühlen. Gedichte und Briefe, Stimmen von Zeitgenossen; (Märkischer Dichtergarten); ed. Wolf, G.; Berlin 1981.

Literatur (Auswahl):
Anger, A.; (Art.) Karsch, Anna Louisa; in: Killy, W. (Hg.); Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache; Bd. 6; Gütersloh/München 1990; S. 244-246.
(Art.) Anne Luise Karschin; in: Jördens, K. H.; Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten; Bd. 2; Leipzig 1807, S. 607-640.
Bennholdt-Thomsen, A. (Hg.in); Anna Louisa Karsch (1722-1791). Von schlesischer Kunst und Berliner "Natur". Ergebnisse des Symposions zum 200. Todestag der Dichterin; Göttingen 1992.
Dewitz, H.-G.; (Art.) Karsch(in), Anna Louisa; in: Berger, B./Rupp, H. (Hgg.); Deutsches Literatur-Lexikon; Bd. 8; Bern/München 1981; Sp. 929-930.
Pott, U.; Briefgespräche. Über den Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Mit einem Anhang bislang ungedruckter Briefe aus der Korrespondenz zwischen Gleim und Caroline Luise von Klenke; Göttingen 1998.
Schaffer, U.; Auf überlebtes Elend blick ich nieder. Anna Louisa Karsch - Literarisierung eines Lebens in Selbst- und Fremdzeugnissen; Göttingen 1997.
Schlaffer, H.; Naturpoesie im Zeitalter der Aufklärung. Anna Luisa Karsch (1722-1791). Ein Portrait; in: Brinker-Gabler, G. (Hg.in); Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 1; München 1988; S. 313-324.


ZUSAMMENFASSUNG
Anna Louisa Karsch(in)

Die nachmalige Karschin wurde am 1. 12. 1722 als Tochter des Gastwirtes Christian Dürbach auf der Meierei "Hammer" zwischen Züllichau und Krossen (Neumark) geboren. Nach dem frühen Tod ihres wohlsorgenden Vaters 1728, gab ihre Mutter sie nach Tirschtiegel bei Meseritz (Posen) zu ihrem Großonkel. Dieser war Amtmann und brachte ihr Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Dies war der einzige Zeitraum, in dem Anna Louisa eine Ausbildung erhielt. Nach vier Jahren forderte die mittlerweile wiederverheiratete Mutter sie als Magd, Wärterin der Geschwister und Viehhirtin zurück.
Fünfzehnjährig wurde sie mit dem Tuchweber Hirsekorn in Schwiebus verheiratet. Diese Verbindung brachte ihr eine Reihe von Demütigungen ein. Als es das Gesetz 1745 erlaubte, ließ sich Hirsekorn von seiner erneut schwangeren Frau scheiden. Bereits in Schwiebus begann sie zu dichten. Völlig mittellos heiratete sie 1749 den später der Trunksucht erlegenen Schneider Karsch. Sie versuchte ihre drückende Armut zu lindern, indem sie Gelegenheitsgedichte für Taufen, Hochzeiten u. a., Schnellreime aus dem Stehgreif zur Unterhaltung sowie patriotische Gesänge auf die Siege Friedrich des Großen verfaßte. Ihre Loblieder auf den König gelangten bald in adlige Kreise. Im Januar 1761 kam sie durch Baron von Kottwitz nach Berlin.

Hier wurde sie schnell berühmt. Johann Georg Sulzer, Carl Wilhelm Ramler, Gotthold Ephraim Lessing und andere nahmen sich ihrer an. Sie stand dem Kreise um Ludwig Gleim nahe. Im Herbst 1761 lud er sie nach Halberstadt ein. Dort wurde sie als "deutsche Sappho" gefeiert. Danach lebte sie in Magdeburg, wo sie enge Kontakte zu Königin Elisabeth Christine pflegte.
Im Oktober 1762 nach Berlin zurückgekehrt, mußte sie anfangs mit Elendsquartieren vorlieb nehmen. Das ihr während einer Audienz am 11. 8. 1763 gegebenen Versprechen einer Pension und eines Hauses, löste Friedrich der Große nie ein. 1764 sorgte Gleim für die erste Veröffentlichung ihrer Gedichte. Nachdem sie bereits einige Jahre Korrespondenz geführt hatten, besuchte sie am 18. 5. 1778 Gœthe während seines Berlinaufenthaltes.

Erst Friedrich Wilhelm II. ließ der Dichterin das Haus in der Neuen Promenade 1 erbauen. Zwei Jahre vor ihrem Tode konnte sie es endlich im Mai 1789 beziehen. Während einer Fahrt nach Frankfurt/Oder erkrankte sie und starb am 12. 10. 1791 in Berlin. Ihr Grab befindet sich in Berlin-Mitte an der Wand der Sophienkirche.

Die Karschin war die erste deutsche Schriftstellerin, die sich ihren Lebensunterhalt durch Schreiben verdiente.