OKTOBER
2008

 
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LITERATUR

DIE WIRKLICHKEIT FOLGT (K)EINEM DREHBUCH
Steve Tesichs tragikomischer Roman Abspann

Saul Karoo ist ein erfolgreicher Mann. Als hochbezahlter „Script Doctor“ schreibt er missratene Drehbücher um oder schneidet missglückte Filme neu, verleiht ihnen einen kohärenten Plot. Sein Leben aber ist alles andere als filmreif. Saul Karoo ist Alkoholiker, Kettenraucher, geschieden, bindungsunfähig.


Höchst amüsant und tragisch zugleich liest es sich, wenn Saul sich von seiner Exfrau öffentlich niedermachen lässt und dabei nur Bewunderung für ihre Eloquenz empfindet. Wenn er versehentlich aus der Krankenkasse fliegt und die einzige Chance, noch einmal in einer solchen aufgenommen zu werden, verspielt, weil eine Krankenschwester namens Elke Höhlenrauch ihn um 3 cm kleiner machen will. Wenn er einen Obdachlosen verfolgt, der den Kamelhaarmantel seines verstorbenen Vaters trägt.

Und immer wieder die Frage: Wer ist Saul Karoo? Die anderen halten ihn für einen Alkoholiker, also spielt er noch den Besoffenen, als der Alkohol längst keine Wirkung mehr bei ihm hat. Seine Exfrau hält ihn für eine gescheiterte Existenz, also scheitert er an seiner Existenz. Und dann wäre da noch Billy, sein Adoptivsohn, den er zu lieben glaubt und dessen Nähe er nicht ertragen kann. Der Fluch, der auf Saul lastet, ist immerzu das Falsche zu tun, obwohl er theoretisch weiß, was das Richtige wäre.

Das Blatt wendet sich, als Saul zufällig in einem Film, den er umschneiden soll, Billys leibliche Mutter erkennt. Er nimmt mit ihr Kontakt auf, verliebt sich in sie, träumt von einer Wiedervereinigung von Mutter und Sohn und macht aus seiner Geliebten nebenbei einen Star, indem er den Film an den richtigen Stellen umschneidet (und dabei sehenden Auges ein Meisterwerk zerstört). Endlich scheint es Saul, als könnte er wieder gutmachen, was er sich selbst und den Menschen um sich herum angetan hat.

Dass diese Läuterung fehllaufen muss, ist von vornherein klar. Doch der Autor Steve Tesich bricht das Scheitern aller Hoffnungen mit einer so dramatischen Wende über den Zaun, dass man als Leser im ersten Moment denkt, es handele sich um ein Drehbuch Sauls, so dick aufgetragen, so seifenopernhaft wirkt es. Die Glaubwürdigkeit der Erzählung, die bereits ab dem zufälligen Zusammentreffen mit Billys Mutter recht herbe strapaziert wird, wird damit endgültig zu Grabe getragen. Das letzte Fünftel des Romans ist dann ein völlig anderes Buch, markiert auch durch den Wechsel von der 1. in die 3. Person, in dem Tesich zunehmend philosophisch wird. Wirklich überzeugend ist dieser Bruch nicht. Trotz dieser Einwände ist Abspann aber ein meisterhaft und originell erzählter Roman, der einem viel Stoff zum Nachdenken gibt.

Die amerikanische Originalausgabe Karoo ist 1998 posthum nach dem relativ frühen Tod des Autors Steve Tesich erschienen. Tesich schrieb u.a. das Drehbuch für Garp und wie er die Welt sah und gewann für ein früheres Drehbuch den Oscar.

aw

Steve Tesich, Abspann, Berlin: List 2008.

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