APRIL
2003

 
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Über die kleinen Lebenslügen: "About Schmidt"
"About Schmidt"
Alexander Payne
USA, 2002

Warren Schmidt hat das magische Alter erreicht: Er wird von seinem Job in einer Versicherungsagentur in Nebraska pensioniert. Kein Grund jedoch zum Jubel. Seine Sorgen kann er mit niemanden teilen, außer mit einem afrikanischen Kind, für das er die Patenschaft übernimmt: Seine Arbeitsstelle hat ihn nahtlos durch einen jungen Schnösel ersetzt, mit seiner Frau verbindet ihn wenig (wer ist diese fremde alte Frau in meinem Bett, fragt er sich nachts), und seine einzige Tochter will einen durchschnittlichen Wasserbettverkäufer heiraten. Und Warren Schmidt fragt sich, was er in seinem Leben geleistet hat, das irgend einen Unterschied gemacht hätte.

Doch es kommt noch schlimmer: Urplötzlich stirbt Warrens Frau, die angereiste Tochter verschwindet kurz darauf wieder ins ferne Colorado, und Warren ist hoffnungslos damit überfordert, für sich selbst zu sorgen. Schließlich hält er es nicht mehr aus und will mit dem riesigen Wohnwagen, den sich seine Frau für den gemeinsamen Lebensabend gewünscht hat, zu seiner Tochter fahren, um sie von der Heirat abzuhalten. Diese verbietet ihm jedoch, schon vor der Hochzeit anzureisen, und so beginnt Warren einen Road Trip durch seine - im übrigen belanglose - Vergangenheit.

Warren Schmidts Leben ist eine einzige Lüge: Ständig macht er sich und anderen vor, dass alles zum Besten steht, und doch sieht der Zuschauer ihm an, dass dies ganz und gar nicht der Fall ist. Die einzige Innenschau in Ich-Form bleiben dabei Warrens Briefe an sein afrikanisches Patenkind, das er gewissenlos als eine Art Selbsttherapie missbraucht, ohne darüber nachzudenken, ob das Kind auch nur irgendetwas von seinen westlichen Wohlstandssorgen verstehen kann. Doch auch diese Briefe sind nicht ehrlich: Selbst wenn Warren in ihnen manchmal seinen Ressentiments freien Lauf lässt - gegen die Frau, den Nachfolger im Beruf, den zukünftigen Schwiegersohn - steht das Geschriebene meist in krassem Widerspruch zu den tatsächlichen Vorkommnissen. So beteuert etwa der in einem wahren Müllberg erstickende Warren, er führe den Haushalt zwar etwas anders als seine Frau, habe ihn aber fest im Griff. Auch Warrens Stationen durch die Vergangenheit sind mehr als absurd: Da steht er fast zu Tränen gerührt in einem Reifengeschäft und erklärt dem Verkäufer, wo einmal sein Kinderzimmer gelegen habe. Auf diese Weise redet er sich sein Leben besser, als es ist.

"About Schmidt" lebt vor allem von seinem Hauptdarsteller, dem großartigen Jack Nicholson. Sein Warren Schmidt ist weder sonderlich sympathisch, noch vollkommen unsympathisch; man weiß nicht recht, ob man über ihn lachen soll oder Mitleid haben soll, so sehr vereint er Tragik und Komik in einer Person. Nicholson schafft es, dem Zuschauer eine Persönlichkeit nahezubringen, in der die Selbstbelügung und das Wissen um diese Lüge nebeneinander liegen, und die gleichzeitig so durchschnittlich ist, dass klar ist: Warren Schmidts Lüge ist die von vielen anderen auch.

aw