JULI
2003

 
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MEDIEN


"Chihiros Reise ins Zauberland"
"Chihiros Reise ins Zauberland"
Hayao Miyazaki
Japan 2001

Die 10jährige Chihiro hat allen Grund zum Nörgeln. Nicht genug, dass ihre Eltern mit ihr aufs öde Land ziehen wollen - nein, ihr Vater verfährt sich auch noch und beharrt zu allem Überfluss darauf, den seltsamen Tunnel zu erkunden, der sich vor der Kleinfamilie auftut. Nun ist Chihiro nicht nur ein quengeliges, sondern auch ein ängstliches Kind: Der Tunnel lässt sie schaudern. Doch ihre Einwände kümmern die Eltern nicht. Frei nach dem Spruch "Neugier tötet die Katze" folgt die Bestrafung auf dem Fuße: Als es dunkel wird, haben sich Chihiros Eltern in Schweine verwandelt, Chihiro selbst beginnt sich aufzulösen, der Weg zur eigenen Welt ist ihr abgeschnitten, und eine schier endlose Reihe von seltsamen Fabelwesen zieht an ihr vorüber.

Zum Glück trifft Chihiro auf Haku, der ihr erklärt, dass sie sich in einer Parallelwelt befindet, einem Badehaus für Götter. Die Leiterin dieses Großunternehmens, die Hexe Yubaba, verwandelt alle Wesen in Schweine, die sich bei ihr aufhalten, ohne zu arbeiten. Chihiro muss sich also unbedingt Arbeit beschaffen. Das bedeutet auch, dass sie sich ganz allein in einer völlig fremden, bedrohlich-düsteren Welt behaupten muss. Dabei wächst die tolpatschige, ängstliche Chihiro über sich hinaus, wird zum mutigen und selbstbewussten Mädchen, das ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt und sich nebenbei auch noch zum ersten Mal verliebt. Chihiros unfreiwillige Reise ins Zauberland wird so zur Reise zu ihr selbst.

Doch Chihiros Reise ist nicht nur eine durchaus glaubwürdige Emanzipationsgeschichte, sondern vor allem ein zauberhaftes Märchen, eine Abenteuergeschichte, wie sie im Buche steht, dabei nie stereotyp, sondern voll der absurdesten, phantastischsten Einfälle. Ein Happy-End gibt es zwar auch hier, aber die Figuren teilen sich nicht wie bei Walt Disney in Gut und Böse. Stattdessen sind sie komplexe Charaktere, die zwischen beiden Polen oszillieren - so etwa der Gott Ohngesicht, den einerseits tiefe Freundschaft mit Chihiro verbindet, der aber andererseits droht, die ganze Belegschaft des Badehauses zu verschlingen.

Zeichentechnisch ist Chihiros Reise eine etwas eigentümliche, aber durchaus charmante Mischung aus Cartoon, anspruchsvoller Malkunst und Computeranimation. Letztere wird nur äußerst sparsam verwendet, fällt dann jedoch umso deutlicher auf. Der farbenprächtige, detailverliebte Hintergrund geht an manchen Stellen fast in die Aquarellzeichnung über und ist eine einzige Augenweide. Vor diesem Hintergrund machen sich die japanischen Zeichentrickfiguren anfangs etwas platt und plan aus, deplaziert und wie ausgeschnitten auf den Hintergrund geklebt, aber andererseits ist man eigentlich auch ganz froh über diesen angenehmen Zurück-zu-Dschungelbuch-1-Effekt in der Figurenzeichnung. (Bleibt noch eine Frage: Warum sehen japanische Zeichentrickfiguren eigentlich nie wie Japaner aus?)

Miyazakis Sen to Chihiro no Kamikakushi (so der japanische Originaltitel) konnte sich bei den Oscars 2003 als bester Animationsfilm gegen die amerikanische Allmacht von Ice Age bis Lilo & Stitch durchsetzen. Letztes Jahr wurde der Film außerdem bei der Berlinale als erster Zeichentrickfilm überhaupt mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, und in Japan hat er Titanic als erfolgreichsten Film aller Zeiten abgelöst.

aw