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2006

 
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"The Road to Guantanamo"
"The Road to Guantanamo"
Michael Winterbottom
Großbritannien 2006

Mit "The Road to Guantanamo" verfilmte Regisseur Michael Winterbottom die angeblich wahre Geschichte der so genannten "Tipton Three", drei britische Muslims, die unschuldig drei Jahre lang im Internierungslager in Guantanamo Bay festgehalten wurden. Der Film kam jetzt (Ende September 2006) in die deutschen Kinos, nachdem er bereits im Februar auf der Berlinale zu sehen war.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Die Mutter des in Tipton (England) lebenden Briten pakistanischer Herkunft Asif Iqbal (gespielt von Afran Usman) arrangiert im September 2001 für ihren Sohnemann eine Hochzeit in Pakistan. Asif willigt ein und nimmt seine drei Freunde Ruhel (gespielt von Farhad Harun), Shafiq (gespielt von Rizwan Ahmed) und Monir (gespielt von Waqar Siddiqui) mit nach Pakistan. In Karachi angekommen besuchen sie zusammen eine Moschee, in der sie mit dem örtlichen Imam ins Gespräch kommen. Der Imam bittet sie, nach Afghanistan zu reisen und dort der Bevölkerung zu helfen. Die Reise mit einem Bus ist nicht teuer, und die vier Freunde sehen den Trip als Abwechslung zum eher langweiligen Aufenthalt in Pakistan.

In Afghanistan angekommen müssen sie jedoch nach ein paar Tagen einsehen, dass sie nicht viel helfen können. Sie hängen den ganzen Tag nur herum und beschließen daher, ihre Rückkehr nach Pakistan zu arrangieren, schließlich steht dort auch noch die Hochzeit an. Sie bitten einen Kontaktmann, die Rückreise zu organisieren, und bekommen dabei nicht mit, dass der Bus sie anders als versprochen nicht zur Grenze, sondern weiter ins Landesinnere zu den Taliban- und Al-Qaeda-Kämpfern bringt.

Noch bevor sie es schaffen, von dort wieder wegzukommen, beginnen die US-Bombardements (was sich die vier vorher nicht vorstellen konnten), und die mit den USA verbündete Nordallianz rückt systematisch gegen die Taliban vor. Es bricht Chaos aus, die Taliban flüchten auf LKWs und mit ihnen auch Asif, Ruhel, Shafiq und Monir. Letzteren verliert die Gruppe während eines Angriffs aus den Augen, er taucht nie wieder auf. Ohne je eine Waffe in der Hand gehabt zu haben, werden die verbliebenen drei mit anderen Kämpfern von der Nordallianz gefangen genommen. Die Gefangenen werden in große Container gesperrt, die auf LKWs transportiert werden. Nur wenige der Gefangenen überleben diesen Transport zu einem der Gefängnisse der Nordallianz - unter ihnen aber auch die "Tipton Three".

Im Gefängnis der Nordallianz ist es so eng, dass sich die Gefangenen mit dem Schlafen abwechseln müssen, weil immer nur für ein paar Insassen genug Platz da ist, um sich hinzulegen. Entgegen den Ratschlägen der anderen Gefangenen gesteht das Trio schließlich einem US-amerikanischen Verhörspezialisten, dass sie nicht aus Pakistan, sondern aus Großbritannien stammen. Da sie nun unter US-amerikanischer Obhut stehen, glauben sie, aus dem Gröbsten raus zu sein. Tatsächlich beginnt ihre Tortur jetzt erst richtig: Sie werden zunächst in Afghanistan, später in Guantanamo Bay inhaftiert und immer wieder psychisch und physisch gefoltert. Verschiedenste Personen von diversen Diensten stellen ihnen immer wieder die gleichen Fragen. Doch die drei verneinen kategorisch, Al-Qaeda anzugehören und "Kämpfer" zu sein. Schließlich versuchen die Verantwortlichen, durch Folter Geständnisse aus ihnen herauszupressen.

Die dabei vorgebrachten Anschuldigungen sind absurd. So wird dem Trio z.B. vorgeworfen, auf einem Video zu sehen zu sein, auf dem Bin Laden eine Rede vor Sympathisanten hält. Das Video stammt jedoch aus dem Jahr 2000, zu einer Zeit als die drei Beschuldigten sich in England aufgehalten haben. Ihre Alibis sind wasserdicht (z.B. durch einen Gefängnisaufenthalt zur besagten Zeit). Am Ende können die Verantwortlichen daher selbst mit allen Tricks und Kniffen ihre Anschuldigungen nicht aufrecht erhalten. 2004, nach insgesamt drei Jahren Haft, verlassen Asif, Ruhel und Shafiq das Lager, ohne dass jemals Anklage gegen sie erhoben worden wäre, ohne dass ihnen gegenüber jemand offen zugegeben hätte, dass man sich mit den Anschuldigungen getäuscht hat.

Der Film lief zum ersten Mal auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin im Februar 2006, wo er Regisseur Michael Winterbottom den Silbernen Bären für die Beste Regie einbrachte. Zu einem Eklat kam es, als zwei der aus Berlin nach England zurückgekehrten Schauspieler, zwei der ehemaligen Guantanamo-Häftlinge sowie zwei weitere Personen vorübergehend am Flughafen festgenommen wurden (vgl. Florian Rötzer: "Alles ganz normal", in: Telepolis, 22.02.06).

Allerdings gibt es nicht nur Lob für den Film. Viele Kritiker monieren, er sei schlicht zu einseitig und zu flach. Michael Winterbottom wurde insbesondere vorgeworfen, die Geschichte der "Tipton Three" nicht hinreichend überprüft zu haben. In der Tat wirkt die Schilderung der Ereignisse an einigen Stellen merkwürdig. Man fährt nach dem 11. September 2001 zu einer Hochzeit nach Pakistan, unternimmt dann aus Abenteuerlust und aus einer humanitären Ambition heraus einen Trip nach Afghanistan? Dass die vier derart naiv waren, eine solche Unkenntnis der geopolitischen Situation hatten, lässt sich schwer glauben. Auch der entscheidende Punkt der Geschichte, dass sie zurück über die Grenze nach Pakistan wollten, dann aber von Dritten ausgetrickst wurden und unfreiwillig in einem Taliban-Stützpunkt landeten, wirkt schwach hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit. Hinzu kommt, dass die vier ja auch keine unbeschriebenen Blätter waren. Einige von ihnen waren in Großbritannien vorbestraft, wenn auch offenbar für Delikte ohne einen fundamentalistischen Hintergrund.

Doch selbst wenn das Trio seine Geschichte zurecht gebogen hat, würde das eben noch nicht das Vorgehen der USA in Guantanamo rechtfertigen, das sich jenseits von Völker- und US-Recht bewegte und noch bis heute bewegt. Das Beispiel der "Tipton Three" war eben nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall: Nur ein Bruchteil der in Guantanamo inhaftierten "Terroristen" wurde angeklagt, viele wissen noch nicht einmal, was genau ihnen eigentlich vorgeworfen wird. Auch die unmenschlichen Haftbedingungen sind inzwischen vielfach belegt, hier dokumentiert Winterbottom die Realität - ganz unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorgeschichte seiner drei Hauptprotagonisten.

Ein weiterer zentraler Vorwurf ist, dass Winterbottom nicht sauber zwischen Dokumentation und Erzählung differenziert. Sein Film ist eine Art "Docufiction": Dokumentation (z.B. Interviews mit den echten "Tipton Three") fließen mit Spielfilmszenen zusammen. Der Vorwurf wäre berechtigt, wenn Winterbottom die Dokumentation mit Hilfe von Fiktion in eine unrealistische Richtung drücken würde. Wie oben beschrieben, ist die Schilderung der Verhältnisse auf Guantanamo aber als authentisch anzusehen.

Natürlich ist "The Road to Guantanamo" ein parteiischer Film, der sich auf die Sichtweise der "Tipton Three" beschränkt, ohne die weiteren Hintergründe und Zusammenhänge näher zu beleuchten oder zu hinterfragen, ohne die Position der Gegenseite hinreichend zu dokumentieren. Aber es war auch gar nicht Winterbottoms Anliegen, einen "neutralen" Film über Guantanamo zu drehen. Die Geschehnisse im dort eingerichteten Internierungslager haben weltweit zu Protesten geführt, und Winterbottom greift diese Empörung mit seinem Film auf. "The Road to Guantanamo" ist sicherlich ein insgesamt unterkomplexer Film, unrealistisch ist er - was die Dokumentation der Zustände in Guantanamo angeht - nicht.

Da "The Road to Guantanamo" in etwa zeitgleich mit Oliver Stones "World Trade Center" in den deutschen Kinos anlief, haben etliche Kritiker beide Filme einander gegenübergestellt. Der Grundtenor: Beide Filme seien einseitig und würden jeweils nur eine Seite darstellen, "World Trade Center" mit der Fixierung auf die Opfer von 9/11 und einen Heldenepos um die Retter, "The Road to Guantanamo" mit einer Fixierung auf die Opfer von Guantanamo. Jan Schulz-Ojala schreibt im Tagesspiegel:

"Das Ergebnis ist in beiden Fällen Mobilmachungskino der neuen Art. Stringenz und Differenzierung zählen nicht, nur der Appell zur jeweils eigenen Fahne – hier gegen Bush, dort gegen den Terrorismus. Seismograph Kino vor dem großen Knall: Lässt die Weltgesellschaft nur noch diesen irrwitzigen Antagonismus zu?" ("Die Mobilmacher", in: Tagesspiegel, 20.09.2006)

Tatsächlich setzen beide Regisseure in ihren Filmen auf Emotionalisierung, diese ist in Winterbottoms "The Road to Guantanamo" aber bei weitem nicht so erdrückend wie in Stones "World Trade Center". Und wo Stones den Zuschauern eine volle Breitseite Pathos und Patriotismus zumutet - ohne die solch ein Stars-and-Stripes-Epos eben nicht auskommt - hält sich Winterbottom mit Schmalz und Tränendrüsen-Rhetorik doch deutlich stärker zurück. Pathos ist in beiden Filmen nicht von der Hand zu weisen, bei Winterbottom kommt er jedoch etwas subtiler und dezenter zum Vorschein.

Obwohl "The Road to Guantanamo" kein besonders origineller Film ist, ist er dennoch sehenswert. Es ist ein Unterschied, ob man von den Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo nur liest bzw. einzelne Fotos sieht oder ob sie einem so eindrucksvoll vorgeführt werden wie in "The Road to Guantanamo". Das einseitige Parteibeziehen des Films gegen die Bush-Administration und für die "Tipton Three" ist nicht zu verleugnen, negiert aber nicht die realitätsnahe und cineastisch durchaus gelungene Dokumentation der Rechtsbrüche in Guantanamo.

nw