FEBRUAR
2002

 
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MEDIEN


Jean Seberg und die verpaßten Chancen

Jean Sebergs Karriere begann märchenhaft. Erfolgsregisseur Otto Preminger wählte die Apothekerstocher schwedischer Abstammung unter 18 000 Bewerberinnen für seinen Monumentalfilm „Die heilige Johanna“ aus. Dann schien die gute Fee die Provinzschönheit aus Marshalltown, Iowa jedoch verlassen zu haben: der Film floppte, ebenso die beiden nächsten – darunter „Bonjour Tristesse“, heute ein Klassiker. Enttäuscht setzte sie sich nach Paris ab. Dort schien ihr das Glück wieder gewogen. Sie traf auf eine Gruppe junger Regisseure, die sich zur „nouvelle vague“ formierten, und bekam eine Rolle, mit der sie ihr Talent beweisen konnte – Patricia Franchini in Godards „Außer Atem“. Sebergs Patricia mit ihrem streichholzkurzen Haarschnitt, ihrem coolen College-Stil und ihren schlagfertigen Antworten auf Belmondos Imponiergehabe machten sie zur Kultfigur.

Jean Seberg blieb in Europa und arbeitete vor allem in Frankreich. Sie mußte jedoch feststellen, daß nicht alle billig gemachten Filme „nouvelle vague“ waren. Sie trat in einer Reihe von „Euro trash“-Filmen auf – in Rollen, die platte Abbilder ihrer vorherigen Arbeiten waren. Dabei hätte es in Hollywood genügend Rollen gegeben, die ihrem Aussehen und ihrem Talent entsprochen hätten. Sie wäre eine großartige Holly in „Frühstück bei Tiffany“ gewesen, eine charmante Corie in „Barfuß im Park“ und eine hinreißende Jill in „Schmetterlinge sind frei“. Doch sie wurde für diese Rollen nicht einmal in Erwägung gezogen. Vielleicht weil sie nicht zur rechten Zeit am rechten Ort war, vielleicht weil ihr Potential unerkannt blieb.

In Amerika drehte sie nur wenige Filme. Ambitionierte Projekte wie „Lillith“ mit Warren Beatty scheiterten, während anspruchslose Katastrophenfilme wie „Airport“ kommerziell erfolgreich waren, ihre Reputation als anspruchsvolle Schauspielerin aber nicht festigten. Wie bei Samson schien ihre Kraft in Zusammenhang mit ihrem Haar zu stehen. Im Gegensatz zu Samson war sie aber nur mit dem charakteristischen Kurzhaarschnitt zu Höchstleistungen fähig – mit bravem 70er Jahre-Chignon und mit Pferdeschwanz wirkte sie blaß.

In die Schlagzeilen geriet sie wegen ihres Engagements für die „Black Panthers“. Anders als ihre ebenfalls politisch aktiven Kolleginnen Jane Fonda und Vanessa Redgrave war sie nicht durch ihren Prominentenstatus geschützt. Eine infame Hetzkampagne der Presse und Verfolgung durch das FBI setzten der labilen Schauspielerin zu. Als sie eine Fehlgeburt erlitt, streute die Presse das Gerücht aus, das Kind sei schwarz gewesen. Jean Seberg bestand darauf, daß das tote Baby in einem gläsernen Sarg zu Grabe getragen wurde. Es war weiß. Der Vater war ihr Ehemann, der französische Schriftsteller Romain Gary.

Den Geburtstag ihrer toten Tochter feierte die Schauspielerin jedes Jahr mit einem Selbstmordversuch. Am 29. August 1979 wurde sie mit einer Überdosis Schlaftabletten in einem Auto, das in einem Pariser Vorort geparkt war, gefunden.

Jean Seberg ist tot. Patricia Franchini lebt für immer.

vh


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Jean Seberg and the missed chances

Jean Seberg’s career began like a fairy tale. She won the leading role in Otto Preminger’s “Saint Joan” beating out 18 000 applicants. But the good fairy didn’t seem to stick to the Small-town beauty from Marshalltown, Iowa. “Saint Joan” flopped – as well as her following movies – among others today’s classic “Bonjour Tristesse”. Disappointed, she left for Paris where she met the young directors of the “New Wave” and landed the part of Patricia Franchini in Godard’s “Breathless”. Her garVon-haircut, her cool college-look and her ready-witted answers to Jean-Paul Belmondo’s display behaviour earned her cult status.

Jean Seberg stayed in Europe and worked mostly in France. But not all cheaply made pictures are “New Wave”. She appeared in a number of Euro-trash movies. At that time, there would have been great parts for her in Hollywood: she could have been a gorgeous Holly in “Breakfast at Tiffany’s”, a charming Corie in “Barefoot in the Park” and a lovely Jill in “Butterflies are Free”. But she wasn’t even taken into consideration for these parts. Maybe she wasn’t in the right place at the right moment, maybe her talent wasn’t appreciated. She played in few American movies. Ambitious productions such as “Lilith” co-staring Warren Beatty flopped whereas unpretentious movies like “Airport” succeeded.

Her involvement with the “Black Panther” movement was highly publicised. The labile actress was menaced by a virulent media smear-campaign and constant FBI-observation. When she had a miscarriage, newspapers rumoured the child was black. Jean Seberg insisted on burying the dead baby in a glass coffin. It was white. The father was her husband, French writer Romain Gary. Every year she commemorated her dead daughter’s birthday with a suicidal attempt. On August 29th 1979, she was found in a car parked in a Parisian suburb. She had put end to her life with a barbiturate overdose.

Jean Seberg is dead. Patricia Franchini lives forever.

vh