JULI
2002

 
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SPRACHE


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Öfter mal was Neues: Wie neue Wörter entstehen



Der Rinderwahnsinn und der Internaut haben, auch wenn sie vielleicht auf den ersten Blick nichts wesentliches miteinander verbindet, eine Gemeinsamkeit: In einem Wörterbuch der deutschen Sprache wird man sie vergeblich suchen. Und das nicht etwa, weil sie falsch sind oder weil die Wörterbücher nichts taugen. Der Grund ist, dass beide Wörter noch zu neu sind, d.h. es handelt sich um sogenannte Neologismen (aus gr. neos = neu und logos = Wort) oder zu deutsch Wortneuschöpfungen. Warum und wie kommt es zu diesem Phänomen?

Da Sprache nichts Statisches darstellt, befindet sie sich stetig im Wandel, und dazu gehört eben auch die Entstehung neuer Wörter. Wie diese zu Stande kommen, ist natürlich sehr unterschiedlich. Es können bereits bestehende Wörter neu zusammengesetzt (z.B. der oben erwähnte Rinderwahnsinn), einfach Vor- oder Nachsilben angehängt oder Abkürzungen verwendet werden. Manchmal greift man auf ein schon vorhandenes Wort zurück und gebraucht es mit einer anderen Bedeutung, oder aber es entwickelt sich wirklich eine völlig neue Lautfolge. Oftmals geschieht dies durch Lautmalerei. Vor allem die ersten zwei Arten sind besonders im Deutschen sehr produktiv.

So viel zu den "technischen Details" der Wortbildung. Warum kommt es jedoch dazu? Ein Grund ist, dass man manchmal einen Sachverhalt nur origineller und treffender formulieren möchte, was z.B. oft der Fall in der Literatur ist. Vielleicht bürgert sich so auch im Freundeskreis einfach ein originelles Wort ein, wie das Wort "mumpeln" (evtl. als lautmalerisch zu sehen), das jemand im Sinne von "gemütlich essen" auf der Internetseite www.worterfindung.de vorschlägt.

Oder man will, wie im klassischen Fall des Kunstwortes "schmöll", das neben "sit" und anderen Varianten als Gegenteil zu durstig gehandelt wird, eine Lücke im Wortschatz füllen. Dabei muss man aber immer sehen, dass diese Lücke nur durch das symmetrisch vorhandene Wort "satt" als Gegenteil zu hungrig auffällt, denn natürlich gibt es unzählig viele Sachverhalte, für die kein eigenes Wort existiert: Eine Mutter mit vier Kindern wird stets nur mit dem Wort Mutter bezeichnet und unterscheidet sich in dieser Bezeichnung ohne weitere sprachliche Umschreibung nicht von einer Mutter mit einem Kind. Da jedoch weder die Wörter Dreimutter, Zweimutter noch Fünfmutter gebräuchlich sind, wird uns das Fehlen der Viermutter genauso wenig bewußt. Logischerweise kann aus rein ökonomischen Gründen gar nicht jede noch so spezielle Idee mit einem eigenen Wort bezeichnet werden. Unser Wortschatz würde explodieren.

Am häufigsten kommt es zu Neologie ganz einfach dadurch, dass die Sprache mit der Realität Schritt halten muss. Wenn sich in der Wirklichkeit neue Entwicklungen ergeben, dann muss man dies ja irgendwie ausdrücken können: Man denke nur an die neuen technischen Errungenschaften im Computer- und Internetzeitalter. Bei "surfen" fällt einem heute nicht mehr nur Strand und Meer ein, sondern auch der Ausflug ins WorldWideWeb (Beispiel für die oben erwähnte Bedeutungsänderung). In Frankreich z.B. gibt es sogar offizielle Neologie-Kommissionen, die sich neue Wörter für derartige sich rasant entwickelnden Sachgebiete ausdenken. Besonders in Fachsprachen kann die Notwendigkeit bestehen neue Bezeichnungen zu schaffen, um genau und schärfer ausdrücken zu können, worum es geht.

Folglicherweise trifft man Wortneuschöpfungen ebenfalls öfters in gesellschaftlichen Zusammenhängen, die gerade Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind, oder die sich grundlegend verändern. Die Wiedervereinigung bescherte uns u.a. den Besserwessi und durch die Presse und andere Medien geistern Begriffe wie Politikverdrossenheit oder Elchtest. Hierbei ist auch die Kür zum Wort oder Unwort des Jahres interessant. Zwar werden hier sicherlich nicht ausschließlich Neologismen aufgenommen. Da es sich allerdings um Wörter handelt, die in gewisser Weise den jeweils aktuellen öffentlichen Meinungsaustausch oder einen Teil davon repräsentieren, finden sich nicht wenige Neologismen darunter: Unter den Vorschlägen für 2000 und 2001 waren z.B. die Wörter "Agrarwende", "simsen", "Leitkultur", "brutalstmöglich". "Wohlstandsmüll" wurde das Unwort des Jahres 1997.

Bei einigen der hier genannten Beispiele wird sich manch einer gedacht haben: Was, das ist ein Neologismus, das wird doch schon überall gebraucht und kommt mir gar nicht mehr so neu vor. Diese Überlegung ist gar nicht so falsch, denn der Übergang vom Neologismus zum normalen lexikalisierten Wort ist offensichtlich fließend. Kriterien dafür, dass ein Neologismus gar kein solcher mehr ist, sind sicherlich seine Verbreitung und Gebrauchshäufigkeit. Eine Gelegenheitsbildung muss erst ihre Situationsbedingtheit verlieren, um z.B. in ein Wörterbuch aufgenommen zu werden.

Die heutigen Neologismen werden also morgen unter Umständen schon Bestand des normalen Sprachgebrauchs sein, dafür wird es dann aber schon wieder unzählige neue geben.

bk