MAI
2006

 
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SPRACHE


In Mehl rollen und in die Äpfel fallen: Kulinarische Redewendungen

Was machen wir morgens, mittags und abends, ohne was könnten wir nicht lange überleben und tun es doch nicht nur aus Zwang, sondern meist mit Genuss? Ganz klar: Essen. Bei solch einer zentralen Stellung im Leben eines jeden ist es wenig verwunderlich, dass sich dieses Thema auch in unserer ganz alltäglichen Sprache niederschlägt. Neben Sprichwörtern, die häufig das richtige Essverhalten kommentieren, existieren zahlreiche Redewendungen, die Nahrungsmittel oder deren Zubereitung aufgreifen. Während uns natürlich die deutschen Wendungen geläufig sind, finden sich in anderen Sprachen bildhafte Ausdrücke und Fügungen, die auf den ersten Blick überraschen. Oder klingt "jemanden in Mehl rollen" und "in die Äpfel fallen" (wörtlich aus dem Französischen für "rouler quelqu'un dans la farine" und "tomber dans les pommes") etwa nicht seltsam?

Was aber ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Sprichwort und einer Redewendung? Während Sprichwörter feste Wortverbindungen sind, die einen vollständigen abgeschlossenen Satz bilden, sind Redewendungen Phraseologismen, also Wortverbindungen, die keine solche abgeschlossene Satzstruktur aufweisen. Es handelt sich also um idiomatische Wendungen, die quasi als vorgefertigte Elemente in die eigenen Sätze eingebaut werden können. Dabei geht die Bedeutung der Redewendungen oft über den eigentlichen Wortsinn hinaus, etwa wenn sie Metaphern enthalten. Ein Beispiel für ein Sprichwort wäre also der deutsche Ausspruch: "Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln", die mongolische Weisheit: "Ein Mann mag zwar kein Herz haben, aber bestimmt hat er einen Magen" oder im Niederländischen: "Die Sauce ist für die Kochkunst, was die Grammatik für die Sprache". Einige bekannte deutsche Redewendung zum Thema Essen wären dagegen: "bleiben wo der Pfeffer wächst", "den Braten riechen", "die Suppe auslöffeln müssen" oder "um den heißen Brei reden".

Doch nun zum Mehl, den Äpfeln und dem Französischen. Die beiden oben genannten französischen Redewendungen sind ein gutes Beispiel dafür, dass man den Wortlaut idiomatischer Wendungen häufig nur dann nachvollziehen kann, wenn man sich ansieht wie und wann sie entstanden sind: "Rouler quelqu'un dans la farine" (wörtlich: "jemanden in Mehl rollen") bedeutet soviel, wie "jemanden betrügen, belügen". Was das Ganze mit Mehl ("farine") zu tun hat wird klar, wenn man berücksichtigt, dass zum Zeitpunkt der Entstehung (Ende des 19. Jahrhunderts) "farine" auch zum Schminken auf der Theaterbühne verwendet wurde, also um eine Illusion zu erzeugen und nicht die ungeschminkte Wahrheit zu präsentieren.

Manchmal entstehen Redewendungen aber auch aus Zitaten und Aussprüchen anderer Personen. "Tomber dans les pommes" (zu Deutsch so viel wie "ohnmächtig werden") geht auf die Schriftstellerin George Sand zurück, die in einem ihrer Briefe den Ausdruck "tomber dans les pommes cuites" verwendete, als es ihr darum ging, einen Zustand kompletter Erschöpfung zu schildern. Ein Wortspiel übrigens, denn "cuit" bedeutet neben "gekocht" auch "geschlagen, besiegt". Zur Redewendung wird ein solches Zitat, sobald es allgemein geläufig und nicht mehr unbedingt mit der Person, die es geäußert hat, verbunden ist.

Allerdings gibt es auch Redewendungen, deren Sinn leichter aus dem Wortlaut zu erraten ist. "Mettre son grain de sel" ("sein Salzkorn hinzugeben") entspricht dem Deutschen "seinen Senf dazu geben". Hier sieht man, dass einige Redewendungen auch über die Sprachgrenzen hinweg sehr ähnlich sind. Und beide erklären sich relativ einfach aus der Metapher, dass man versucht mit einem Kommentar zu einem Gespräch noch seine persönliche Würze geradezu aufzudrängen, denn erwünscht ist dieser "Klecks Senf" oder dieses "Salzkorn" oft nicht. Der negative Beigeschmack, den die Redewendung also durchaus auch im Französischen hat, geht aber bereits nicht mehr direkt aus der Metapher hervor.

Viele Wendungen beschreiben auch gerne Eigenschaften von Personen, in dem sie diese mit bestimmten Nahrungsmitteln vergleichen. Wem man nachsagt "d'être la bonne poire" (wörtlich: "die gute Birne sein", im Sinne von: "sich wegen zu großer Freundlichkeit ausnutzen lassen" oder "sich zum Narren halten lassen") der hat eben die Weichheit einer reifen Birne. Wem man zuschreibt "d'être soupe au lait" (wörtlich: "eine Milchsuppe sein", im Sinne von "leicht aufgebracht sein"), der hat einen aufbrausenden Charakter und kann so schnell wie eine Milchsuppe von völliger Ruhe zum plötzlichen Aufbrausen bzw. Überkochen gebracht werden.

Sollte der geneigte Leser nun Appetit auf mehr französische Redewendungen (nicht nur zum Thema Essen) bekommen haben, so kann er sich das Buch "J'ai un mot sur la langue" von Florence Gremaud und Serge Pinchon (Gallimard Jeunesse, Paris 2001) "einverleiben". Aus diesem phantasievoll illustrierten Buch stammen übrigens auch die französischen Beispiele und ihre Erklärungen.

bk