JANUAR
2003

 
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SPRACHE


Note oder Wort, Sprache oder Musik?

 

Für manche klingt Französisch wie Musik, andere erinnert vielleicht eher das Chinesische an einen Singsang und wieder andere beschreiben z.B. das Italienische als besonders melodisch. Es scheint also ein gewisser Zusammenhang zwischen Musik und Sprache zu bestehen, den man intuitiv heraushört.

Denken wir nur mal an Stefan Raabs Blödellied über den vom Bundeskanzler Schröder halb gesprochenen, halb gelallten Satz "Hol mir mal 'ne Flasche Bier". Raab machte aus diesem, wie aus noch weiteren Politikersprüchen, ein Musikstückchen, indem er einfach die Rhythmik des Satzes übernahm und die Sprachmelodie des Fragments aufgriff. Doch nicht nur Ulk wird auf diese Weise getrieben. Nicht wenige ernsthafte Komponisten bemühten sich mehr oder weniger ausdrücklich, die Sprachähnlichtkeit der Musik als Ausdrucksmittel zu verwenden: Bei Beethoven lassen sich bestimmte Themen mit Wortfolgen unterlegen, Wagner verwendete bisweilen Sprechgesang-Intonationen, Mussorgski versuchte sich bei der Vertonung von Gogols "Heirat" daran, die gesungene aus der gesprochenen Sprache abzuleiten, ebenso Stockhausen und viele andere.

Sehr charakteristisch ist solche bewußte kompositorische Einbeziehung sprachlicher Elemente für den tschechischen Komponisten Leos Janácek (1854-1928). Einhergehend mit dem Wiedererstarken tschechischer Kultur, Sprache und Nationalbewußtsein im 19. Jahrhundert schöpfte er für seine Werke aus den Volksliedern seiner mährischen Heimat und aus der tschechischen Sprache. So sammelte er laufend Material, indem er die Sprachmelodie einfacher Äußerungen seiner Landsleute sofort in Notenform festhielt - wenn es sein musste dann angeblich auch direkt auf seinem Hemdsärmel. Dabei übertrug Janácek in seinen Kompositionen Sprachmelodien natürlich nicht in einer Eins-zu-Eins-Beziehung in ein musikalisches Spiegelbild, sondern wandelte sie ab und entwickelte sie schöpferisch weiter. Aus der Überzeugung, "dass alle melodischen und harmonischen Rätsel in der Musik überhaupt rhythmisch und melodisch nur aus dem Tonfall der Sprache gelöst werden können", entstand wohl auch seine Idee, aus den gesammelten Materialien quasi ein Notenwörterbuch des Tschechischen zu schaffen. Für ihn waren die Sprachmelodien quasi ein "Fensterchen in die Seele". Eine Bezeichnung, die um so treffender erscheint, wenn man daran denkt, wie stark Melodien und Musik mit Empfindungen verknüpft sind.

Diese musikalischen Empfindungen sind aber in Bezug auf Sprache auch in der umgekehrten und ursprünglichen Perspektive äußerst wichtig. Nicht nur derjenige, der Sprache in der Musik nachahmt, erkennt sie, vor allem der Sprecher bzw. der lernende Säugling benötigt sie geradezu. Man vermutet, dass Neugeborene zunächst einmal Sprachmelodie und Rhythmus zur Identifizierung von einzelnen Sprechern bzw. Sprache an sich verwenden. Darüber hinaus hilft bei der Aneignung von Sprache besonders die Koppelung an positive und emotionale Empfindungen, wie sie durch die im weitesten Sinne musikalischen Elemente des Spiels mit stimmlichen Lauten in Form von Brabbeln und Lallen gegeben ist. Die angeborene Musikalität und Musik sind also vielleicht in gewissem Sinne ein evolutorisches Nebenprodukt des menschlichen Spracherwerbs. Im übrigen wurde herausgefunden, dass die Verarbeitung von Sprache im menschlichen Gehirn auf ähnliche Weise und an ähnlichen Stellen abläuft wie die Wahrnehmung von Musik. Diese Erkenntnisse können eventuell auch bei der Therapie von Sprachstörungen genutzt werden.

Sprache und Musik stellen sich uns also als zwei Größen dar, die sich gegenseitig beeinflussen und inspirieren. Dafür noch ein letztes originelles Beispiel: Das Wort "Bach" übertrug Liszt direkt in die Notensprache und schrieb über das Thema B-A-C-H eine Fantasie und Fuge für Klavier.

bk