APRIL
2008

 
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KUNST

HISTORIENBILDER ERZÄHLEN
Delaroche, „Cromwell am Sarg Karls I.“

Delaroches Gemälde zeigt den englischen Politiker und Feldherrn Cromwell, wie er nachdenklich auf das Antlitz des toten Königs Karl I. blickt, dessen Hinrichtung er erwirkt hatte. Es handelt sich um ein Historienbild ohne Handlung, das seine Kraft aus dem kontemplativen Moment zieht.


Oliver Cromwell war ein Feldherr des Parlamentsheeres, das im englischen Bürgerkrieg gegen die Royalisten kämpfte. Nach der von ihm initiierten Hinrichtung König Karls I. im Jahr 1649 regierte er als Lordprotektor England, Schottland und Irland und war einer der Begründer des republikanischen Commonwealth, das bis 1660 die politische Ordnung bestimmen sollte.

Im frühen 19. Jahrhundert wurde die Figur Cromwells von den Künstlern und Dichtern der Romantik vereinnahmt. Zu der größten Berühmtheit gelangte dabei das Theaterstück „Cromwell“ von Victor Hugo, das aufgrund seiner Länge und Komplexität allerdings unspielbar war. Cromwell wird darin als rücksichtsloser, aber tatkräftiger Held dargestellt.

Hugos Stück wird gemeinhin auch als Vorlage von Delaroches Gemälde „Cromwell am Sarg Karls I.“ betrachtet, zumal die szenische Anordnung an eine Theaterbühne erinnert. Doch gibt es die Szene einer stillen Andacht am Sarg des enthaupteten Königs in Hugos Stück gar nicht. In gewissem Maße erinnert sie an Delaroches einige Jahre später entstandenes Bild „Napoleon in Fontainebleau“. Auf beiden Bildern ist der sonst so entschieden vorgehende Herrscher in einem Moment der inneren Einkehr zu sehen, vielleicht auch des Zweifelns ob der Opfer, die die Politik mit sich bringt.

Seine Kraft gewinnt das Bild aus seiner Banalität: Nüchtern gesehen geschieht auf dem Bild nichts, aber eben dieses Innehalten lässt beim Betrachter einen inneren Film ablaufen über die Ereignisse, die der Szene vorausgegangen sind und die ihr nachfolgen werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er die englische Geschichte kennt. In Großbritannien dürfte dies ohne Zweifel der Fall sein, ist Cromwell doch eine der am kontroversesten diskutierten Figuren der nationalen Geschichte – ein Diktator für die einen, ein Freiheitskämpfer für die anderen. Aufgrund seines unbarmherzigen Vorgehens gegen die irischen Katholiken wird er insbesondere in Irland als negative Figur betrachtet.

Wie kontrovers und aktuell die Beschäftigung der Briten mit Oliver Cromwell immer noch ist, belegen zwei jüngere Anekdoten, auf die der englische Wikipedia-Eintrag hinweist: 2002 wurde Cromwell in einer BBC-Umfrage unter die 10 bedeutendsten Briten aller Zeiten gewählt, während der Song „Irish Blood, English Heart“ von Morrissey sich gegen Cromwells Bewunderer wendet und damit 2004 auf Platz 3 der UK-Charts schoss.

aw

Abbildung: Paul Delaroche (1797-1856), „Cromwell am Sarg Karls I.“ (1831), Öl auf Leinwand, 226 x 291 cm, Privatsammlung.

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