| JULI 
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| Hemingway 
          und die bösen Riesen | ||||||
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|  Ernest Hemingway liebte den Kampf: den Krieg, das 
          Boxen, die Jagd, das Fischen, den Hahnenkampf, die Corrida. Doch den 
          schwersten Kampf seines Lebens führte er gegen sich selbst.
 Hemingway behauptete, Alkohol töte "böse Riesen". Seine bösen Riesen hießen Depression, Einsamkeit, Erfolgstrieb, Selbsthaß und Angst. Hemingway erfand sich - wie er eine Romanfigur erfand. Seine Ängste bekämpfte er mit extremen Mutproben, seine Einsamkeit mit vorgetäuschter Geselligkeit. Er spielte die Rolle gut - so gut, daß er selbst an das Bild des "Mister Papa" glaubte. Um so mehr er sich mit der öffentlichen Person, mit dem Bestsellerautor, dem Nobelpreisträger, dem waghalsigen Abenteurer identifizierte, desto größer wurde die Angst, seiner eigenen Fiktion nicht zu entsprechen. Scherzhaft sagte Hemingway einmal, die Voraussetzung, um ein guter Schriftsteller zu werden, sei eine unglückliche Kindheit. - Oder vulgärer ausgedrückt: "We are all bitched from the start..." Hemingway wuchs in einer wohlhabenden Arztfamilie in Oak Park, Illinois auf. Die Erziehung war streng und puritanisch, wie im amerikanischen Mittelstand der Jahrhundertwende üblich. Seine dominante Mutter beschränkte ihre Aktivitäten - nachdem sie den ehrgeizigen Plan, Opernsängerin zu werden, aufgegeben hatte - auf den häuslichen Bereich. Sie zog dem kleinen Ernest gerne Mädchenkleider an - was vermutlich zu seiner kaum mehr latenten Homophobie führte. Nach eigenen Angaben haßte Hemingway seine Mutter. Er verehrte seinen schwachen, depressiven Vater, der 1928 Selbstmord beging. Dieser familiären Hintergrund dient oft als Erklärung für sein späteres Verhalten: seine Verachtung für Frauen, sein ruppiges Benehmen, seine Unzulänglichkeit, Schwäche zuzugeben. Erste literarische Gehversuche unternahm Hemingway in der High School. Er schrieb Reportagen für die Schülerzeitung und Kurzgeschichten für eine Literaturzeitschrift. Statt aufs College zu gehen, entschied er sich mit siebzehn Jahren für eine Karriere als Reporter beim "Kansas City Star". Die strengen stilistischen Regeln der Zeitung trugen zur Entwicklung von Hemingways klarem Stil bei. Doch er blieb nur sechs Monate in Kansas City. 1918 ging er als Freiwilliger des roten Kreuzes an die italienische Front. Die existentielle Erfahrung des Krieges prägte ihn - niemand konnte besser über Krieg und Tod schreiben als Hemingway. Er wurde verwundet. Ein Bild, das in der Lokalzeitung von Oak Park veröffentlicht wurde, zeigte ihn pfeifend. Er wurde für seine Lässigkeit bewundert. Nur Grace Hall Hemingway, seine ungeliebte Mutter, erkannte die Bedeutung des Bildes. Hemingway hatte sich als Kind angewöhnt, zu pfeifen, wenn ihm zum Weinen zumute war. Im Lazarett verliebte er sich in die Krankenschwester Agnes von Kurowsky. Sie verschmähte ihn. Zehn Jahre später verewigte er sie in seinem Roman "A Farewell to Arms" in der Figur der Catherine, die er am Ende des Buches sterben ließ - eine späte Rache. Aus dem Krieg heimgekehrt, wandte sich wieder dem Journalismus zu. 
            Er schrieb für den "Toronto Star". Lange hielt er es 
            in Nordamerika nicht aus. 1921 ging er als Auslandskorrespondent nach 
            Europa. Er lebte mit seiner ersten Frau Hadley in Paris, wo er sich 
            einer Gruppe emigrierter amerikanischer Schriftsteller anschloß, 
            die Gertrude Stein als "lost generation" bezeichnete - junge 
            Männer, die aus dem Krieg zurück kamen, desillusioniert 
            und entfremdet. Hemingway streifte durch die Museen und beschloß, 
            man müsse schreiben wie Cézanne malte. Oft gelang es ihm. 
            Er saß in der "Closerie des Lilas", trank Kaffee und 
            Schnaps und schrieb Geschichten über das weit entfernte Amerika. Von der Literatur zu leben war schwierig. Seine Kurzgeschichten ließen sich in den USA kaum verkauften. Einige seiner Arbeiten erschienen übersetzt in der deutschen Zeitschrift "Querschnitt". Zum Winterurlaub fuhr er in die Schweiz. Hadley reiste ihm nach. Um ihm eine Freude zu machen, packte sie die Manuskripte seiner Kurzgeschichten zur Überarbeitung ein. Die Tasche wurde in Paris auf dem Bahnhof gestohlen. Hemingway blieben nur die Geschichten, an denen er gerade arbeitete und die, die sich in einem Briefumschlag auf dem Weg über den Atlantik befanden. Hemingway litt, nach eigenen Angaben, nicht, wenn er schrieb, sondern nur, wenn er nicht schreiben konnte. Er arbeitete manisch. Langsam stellte sich der Erfolg ein. In den 20er Jahren erschienen zwei schmale Bände: "Three Stories & Ten Poems" und "In Our Time". Die frühen Kurzgeschichten gehören zu den besten der amerikanischen Literatur. Dann kamen die Romane und der Weltruhm. Mit dem Erfolg verstärkte sich seine Rastlosigkeit. - Paris, Madrid, Venedig, die Schweiz, Kuba, Key West, New York, Ketchum - Safaris in Afrika, Jagd- und Fischausflüge... An einem Ort zu bleiben, setzte er gleich mit der Schreibblockade. Wie seinen Aufenthaltsort wechselte er auch seine Ehefrauen. Hadley wurde durch ihre beste Freundin, die elegante Moderedakteurin Pauline Pfeiffer ersetzt. Pauline wurde gegen die selbstbewußte, ehrgeizige Martha Gellhorn ausgetauscht, die Hemingway verließ, als sie sich von ihm unterdrückt fühlte. Er tröstete sich schnell mit Mary Welsh, mit der er bis zu seinem Tod verheiratet blieb. Mary war nachsichtig. Sie tolerierte seine Launen und auch seine harmlosen Flirts mit jungen Aristokratinnen und schönen Schauspielerinnen, wie Marlene Dietrich, Ingrid Bergman und Ava Gardner. Hemingways Alkoholkonsum wandelte sich mit den Jahren von jugendlichem Imponiergehabe zu klinischem Alkoholismus. Nur seine Arbeit zwang ihn, Maß zu halten. "1547mal war ich in meinem Leben betrunken, aber niemals frühmorgens," sagte er. Frühmorgens schrieb er. Meist schrieb er an einem Stehpult. Die vollgeschriebenen Seiten ließ er zu Boden fallen. Um die Mittagszeit stand er in einem Papierhaufen. Er las das Geschriebene und strich es auf einige hundert Worte zusammen. Beim Schreiben akzeptierte er nur die Gesellschaft seiner Lieblingskatze - mit der er alles teilte, bis auf seine Tabletten gegen Bluthochdruck. Bluthochdruck war nicht das einzige Gesundheitsproblem, das auf seinen 
            Alkoholkonsum zurückzuführen war. Hinzu kamen Leber- und 
            Nierenbeschwerden, sowie ein gefährlich hoher Cholesterinspiegel. 
            Der hypochondrische Hemingway dokumentierte medizinische Daten akribisch. 
            Die körperlichen Gebrechen waren aber im Vergleich zu den psychischen 
            Problemen harmlos. Hemingway hatte eine neurotisch-depressive Veranlagung. 
            Als er aus gesundheitlichen Gründen seinen Alkoholkonsum einschränken 
            mußte, wurde sein Zustand kritisch. Vermutlich trat bei ihm 
            eine seltene Störung auf, die gelegentlich bei ehemaligen Alkoholikern 
            vorkommt - eine Art paranoide Schizophrenie, die sich mit Halluzinationen 
            und Verfolgungswahn manifestiert. Er war mehrfach in psychiatrischer 
            Behandlung. Er konnte nicht mehr schreiben. Letztendlich verlor er 
            den Kampf gegen die bösen Riesen und den Kampf gegen das leere 
            Blatt Papier. Am 2. Juli 1961 nahm Ernest Hemingway sein Lieblingsjagdgewehr und drückte ab. vh | ||||||