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LITERATUR


Hemingway und die bösen Riesen
Zum 40. Todestag von Ernest Hemingway
 
 

Bild: rororo-Monographie von Hans-Peter Rodenberg (nicht von Ceryx rezensiert)

Ernest Hemingway liebte den Kampf: den Krieg, das Boxen, die Jagd, das Fischen, den Hahnenkampf, die Corrida. Doch den schwersten Kampf seines Lebens führte er gegen sich selbst.

Hemingway behauptete, Alkohol töte "böse Riesen". Seine bösen Riesen hießen Depression, Einsamkeit, Erfolgstrieb, Selbsthaß und Angst. Hemingway erfand sich - wie er eine Romanfigur erfand. Seine Ängste bekämpfte er mit extremen Mutproben, seine Einsamkeit mit vorgetäuschter Geselligkeit. Er spielte die Rolle gut - so gut, daß er selbst an das Bild des "Mister Papa" glaubte. Um so mehr er sich mit der öffentlichen Person, mit dem Bestsellerautor, dem Nobelpreisträger, dem waghalsigen Abenteurer identifizierte, desto größer wurde die Angst, seiner eigenen Fiktion nicht zu entsprechen.

Scherzhaft sagte Hemingway einmal, die Voraussetzung, um ein guter Schriftsteller zu werden, sei eine unglückliche Kindheit. - Oder vulgärer ausgedrückt: "We are all bitched from the start..."

Hemingway wuchs in einer wohlhabenden Arztfamilie in Oak Park, Illinois auf. Die Erziehung war streng und puritanisch, wie im amerikanischen Mittelstand der Jahrhundertwende üblich. Seine dominante Mutter beschränkte ihre Aktivitäten - nachdem sie den ehrgeizigen Plan, Opernsängerin zu werden, aufgegeben hatte - auf den häuslichen Bereich. Sie zog dem kleinen Ernest gerne Mädchenkleider an - was vermutlich zu seiner kaum mehr latenten Homophobie führte. Nach eigenen Angaben haßte Hemingway seine Mutter. Er verehrte seinen schwachen, depressiven Vater, der 1928 Selbstmord beging. Dieser familiären Hintergrund dient oft als Erklärung für sein späteres Verhalten: seine Verachtung für Frauen, sein ruppiges Benehmen, seine Unzulänglichkeit, Schwäche zuzugeben.

Erste literarische Gehversuche unternahm Hemingway in der High School. Er schrieb Reportagen für die Schülerzeitung und Kurzgeschichten für eine Literaturzeitschrift. Statt aufs College zu gehen, entschied er sich mit siebzehn Jahren für eine Karriere als Reporter beim "Kansas City Star". Die strengen stilistischen Regeln der Zeitung trugen zur Entwicklung von Hemingways klarem Stil bei. Doch er blieb nur sechs Monate in Kansas City.

1918 ging er als Freiwilliger des roten Kreuzes an die italienische Front. Die existentielle Erfahrung des Krieges prägte ihn - niemand konnte besser über Krieg und Tod schreiben als Hemingway. Er wurde verwundet. Ein Bild, das in der Lokalzeitung von Oak Park veröffentlicht wurde, zeigte ihn pfeifend. Er wurde für seine Lässigkeit bewundert. Nur Grace Hall Hemingway, seine ungeliebte Mutter, erkannte die Bedeutung des Bildes. Hemingway hatte sich als Kind angewöhnt, zu pfeifen, wenn ihm zum Weinen zumute war. Im Lazarett verliebte er sich in die Krankenschwester Agnes von Kurowsky. Sie verschmähte ihn. Zehn Jahre später verewigte er sie in seinem Roman "A Farewell to Arms" in der Figur der Catherine, die er am Ende des Buches sterben ließ - eine späte Rache.

Aus dem Krieg heimgekehrt, wandte sich wieder dem Journalismus zu. Er schrieb für den "Toronto Star". Lange hielt er es in Nordamerika nicht aus. 1921 ging er als Auslandskorrespondent nach Europa. Er lebte mit seiner ersten Frau Hadley in Paris, wo er sich einer Gruppe emigrierter amerikanischer Schriftsteller anschloß, die Gertrude Stein als "lost generation" bezeichnete - junge Männer, die aus dem Krieg zurück kamen, desillusioniert und entfremdet. Hemingway streifte durch die Museen und beschloß, man müsse schreiben wie Cézanne malte. Oft gelang es ihm. Er saß in der "Closerie des Lilas", trank Kaffee und Schnaps und schrieb Geschichten über das weit entfernte Amerika.

Er gab seine journalistische Karriere auf. Vielleicht weil er sich nicht prostituieren wollte, wie viele seiner Kollegen, die für Zeitungen oder in Hollywood Drehbücher für seichte Filme schrieben. Vielleicht langweilte ihn die Arbeit, die zu viel Zeit in Anspruch nahm und ihn von der Prosa ablenkte. Vielleicht befolgte er auch nur seine selbstaufgestellte Maxime, daß Zeitungsarbeit einem jungen Autor nicht schade, solange er rechtzeitig damit aufhörte. Später nahm er allerdings häufiger noch journalistische Aufgaben an - zum Beispiel als Kriegsberichterstatter für die "North American Newspaper Alliance" im spanischen Bürgerkrieg.

Von der Literatur zu leben war schwierig. Seine Kurzgeschichten ließen sich in den USA kaum verkauften. Einige seiner Arbeiten erschienen übersetzt in der deutschen Zeitschrift "Querschnitt". Zum Winterurlaub fuhr er in die Schweiz. Hadley reiste ihm nach. Um ihm eine Freude zu machen, packte sie die Manuskripte seiner Kurzgeschichten zur Überarbeitung ein. Die Tasche wurde in Paris auf dem Bahnhof gestohlen. Hemingway blieben nur die Geschichten, an denen er gerade arbeitete und die, die sich in einem Briefumschlag auf dem Weg über den Atlantik befanden.

Hemingway litt, nach eigenen Angaben, nicht, wenn er schrieb, sondern nur, wenn er nicht schreiben konnte. Er arbeitete manisch. Langsam stellte sich der Erfolg ein. In den 20er Jahren erschienen zwei schmale Bände: "Three Stories & Ten Poems" und "In Our Time". Die frühen Kurzgeschichten gehören zu den besten der amerikanischen Literatur. Dann kamen die Romane und der Weltruhm.

Mit dem Erfolg verstärkte sich seine Rastlosigkeit. - Paris, Madrid, Venedig, die Schweiz, Kuba, Key West, New York, Ketchum - Safaris in Afrika, Jagd- und Fischausflüge... An einem Ort zu bleiben, setzte er gleich mit der Schreibblockade. Wie seinen Aufenthaltsort wechselte er auch seine Ehefrauen. Hadley wurde durch ihre beste Freundin, die elegante Moderedakteurin Pauline Pfeiffer ersetzt. Pauline wurde gegen die selbstbewußte, ehrgeizige Martha Gellhorn ausgetauscht, die Hemingway verließ, als sie sich von ihm unterdrückt fühlte. Er tröstete sich schnell mit Mary Welsh, mit der er bis zu seinem Tod verheiratet blieb. Mary war nachsichtig. Sie tolerierte seine Launen und auch seine harmlosen Flirts mit jungen Aristokratinnen und schönen Schauspielerinnen, wie Marlene Dietrich, Ingrid Bergman und Ava Gardner.

Hemingways Alkoholkonsum wandelte sich mit den Jahren von jugendlichem Imponiergehabe zu klinischem Alkoholismus. Nur seine Arbeit zwang ihn, Maß zu halten. "1547mal war ich in meinem Leben betrunken, aber niemals frühmorgens," sagte er. Frühmorgens schrieb er. Meist schrieb er an einem Stehpult. Die vollgeschriebenen Seiten ließ er zu Boden fallen. Um die Mittagszeit stand er in einem Papierhaufen. Er las das Geschriebene und strich es auf einige hundert Worte zusammen. Beim Schreiben akzeptierte er nur die Gesellschaft seiner Lieblingskatze - mit der er alles teilte, bis auf seine Tabletten gegen Bluthochdruck.

Bluthochdruck war nicht das einzige Gesundheitsproblem, das auf seinen Alkoholkonsum zurückzuführen war. Hinzu kamen Leber- und Nierenbeschwerden, sowie ein gefährlich hoher Cholesterinspiegel. Der hypochondrische Hemingway dokumentierte medizinische Daten akribisch. Die körperlichen Gebrechen waren aber im Vergleich zu den psychischen Problemen harmlos. Hemingway hatte eine neurotisch-depressive Veranlagung. Als er aus gesundheitlichen Gründen seinen Alkoholkonsum einschränken mußte, wurde sein Zustand kritisch. Vermutlich trat bei ihm eine seltene Störung auf, die gelegentlich bei ehemaligen Alkoholikern vorkommt - eine Art paranoide Schizophrenie, die sich mit Halluzinationen und Verfolgungswahn manifestiert. Er war mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Er konnte nicht mehr schreiben. Letztendlich verlor er den Kampf gegen die bösen Riesen und den Kampf gegen das leere Blatt Papier.

In "A Farewell to Arms", seinem besten Buch, schrieb er: "Die Welt zerbricht jeden, und nachher sind viele an den gebrochenen Stellen stark. Aber die, die nicht zerbrechen wollen, die tötet sie. Sie tötet die sehr Guten und die sehr Feinen und die sehr Mutigen. Ohne Unterschied."

Am 2. Juli 1961 nahm Ernest Hemingway sein Lieblingsjagdgewehr und drückte ab.

vh