FEBRUAR
2002

 
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Die Reichen, die Schönen und die Toten. Ein Spaziergang über die Friedhöfe von Paris

Der Cimetière Père Lachaise ist der wahrscheinlich schönste Skulpturenpark von Paris und der meist besuchte Friedhof der Welt. Die Gebeine von einer Million Menschen liegen dort – darunter die Reichen, die Schönen und ein paar Genies.

Marcel Proust, der die letzten Jahre seines Lebens in seinem korkgetäfelten Schlafzimmer in einer Wohnung am Boulevard Hausmann verbrachte und dort im Bett liegend an seinem Romanzyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ arbeitete, liegt in einem eleganten Familiengrab aus schwarzem Marmor. Besucher haben blaßblaue Lilien und nach jüdischem Ritus Steine abgelegt.

Oscar Wildes Grab, eine pompöser, stilisierter Flügel aus Stein, ist über und über mit Lippenstiftküssen bedeckt. Der irische Schriftsteller war 1900 vereinsamt und verarmt in einem Hotel in der rue des Beaux-Arts an einer Meningitis gestorben.

Auf dem Grabstein des französischen Dichters Guillaume Apollinaire ist in Herzform geschrieben: „Mon coeur pareil à une flamme renversée“. Apollinaire starb am 9.Oktober 1918. Von seiner Pariser Wohnung aus konnte der sterbende Dichter die wütende Menge auf der Straße „A bas, Guillaume“ rufen hören. Er bezog es auf sich. Gemeint war aber der deutsche Kaiser Wilhelm II.

Auf dem Cimetière Père Lachaise befindet sich auch das Grab des französischen Dramatikers und Schauspielers Molière, der den „Eingebildeten Kranken“ so überzeugend spielte, daß sich das Publikum vor Lachen bog und nicht bemerkte, wie Molière auf der Bühne starb.

Im Krematorium ist die Urne der amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan eingemauert, die Anfang des 20. Jahrhunderts den Ausdruckstanz erfand. In wallenden Gewändern ohne Korsett tanzte sie barfuß – was damals als skandalös empfunden wurde. Ihr Tod in Nizza 1927 war theatralisch wie ihr Leben. Die alternde Duncan, die längst ihren Zenith überschritten hatte, stieg auf der Promenade des Anglais in den Bugatti ihres jungen Begleiters. Ihr langer roter Schal verfing sich in den Rädern des Autos. Als ihr Begleiter anfuhr, wurde die Duncan mit dem Schal stranguliert.

In der Nähe von Isadora Duncans Urne befindet sich die Urne des surrealistischen Künstlers Max Ernst. Bewunderer kritzelten „Thank you“ und „Sweet dreams“ an die Wand. Weit entfernt von Ernsts Grabstätte befindet sich das Grab des französischen Dichters Paul Eluard. Ernst und Eluard waren Rivalen um die Gunst der schönen Gala, Eluards Ehefrau, bis diese sich endgültig für Salvador Dalí entschied.

Das meistfrequentierte Grab des Friedhofs ist das Grab von Jim Morrison. Der Sänger von „The Doors“ war 1971 tot in einer Wohnung im Marais aufgefunden worden. Ganze Touristengruppen und junge Fans mit glasigen Augen stehen um das Grab herum und huldigen ihrem Idol.

Das Pendant zu Morrisons Grab auf dem Cimetière Montparnasse ist das Grab von Serge Gainsbourg. Der französische Sänger ist an der Seite seiner Eltern Olga und Joseph Ginsburg beerdigt. Die Grabplatte ist mit Blumen, Fotos, Zeichnungen, Schildern mit den Aufschriften „Thank you“ und „Gainsbourg forever“ und Metrotickets, eine Referenz an eines seiner bekanntesten Lieder, bedeckt.

Sehr viel trostloser ist das Grab der amerikanischen Schauspielerin und „nouvelle vague“-Ikone Jean Seberg, die 1979 ihrem tragischen Leben mit einer Überdosis Schlaftabletten ein Ende setzte. Das schlichte Grab ist mit geschmacklosen Blumengestecken und einer kleinen Platte, auf der „Souvenir d’Amitié“ steht, geschmückt.

Eine andere Galionsfigur der „nouvelle vague“ ist auf dem Cimetière Montmartre beerdigt: François Truffaut. Auf einer eleganten, schwarzen Marmorplatte liegen nur ein paar gelbe Ahornblätter, die von den benachbarten Bäumen abgefallen waren. Einige geschmackvolle Blumenarrangements sind dezent um das Grab herumgruppiert.

Weniger zurückhaltend ist das Grab von Yolanda Gigliotti alias Dalida, der ägyptischen Schlagersängerin, die in einem halben Dutzend Sprachen sang – vor allem aber auf Französisch, weshalb sie in Frankreich noch immer verehrt wird. Eine Dalida-Statue steht vor einer auf schwarzen Marmor gemalten goldenen Sonne, ihr zu Füßen ein Meer von Blumen – wie es einem Star gebührt.

Ein Anziehungspunkt für viele deutsche Besucher ist das Grab von Heinrich Heine. Es ist aus weißem Marmor – ein hoher Sockel, eine Büste Heines, Blumen, einige Steine. In die Grabplatte wurden Heines Verse gemeißelt: „Wo wird einst des Wandermüden / Letzte Ruhestätte sein? / Unter Palmen in dem Süden? / Unter Linden an dem Rhein? / Werd’ ich wo in einer Wüste / Eingescharrt von fremder Hand? / Oder ruh’ ich an der Küste / Eines Meeres in dem Sand? / Immerhin! Mich wird umgeben / Gottes Himmel, dort wie hier / Und als Totenlampe schweben / Nachts die Sterne über mir.“ Neben ihm liegt die treue Mathilde, die auf dem Grabstein schlicht „Frau Heine“ genannt wird. Ein alternder deutscher Intellektueller liest seiner blonden Begleiterin ein Heine-Gedicht aus einem Suhrkamp-Bändchen vor.

Ein kleiner Junge schreit. Seine Mutter befielt ihm, still zu sein: „Die Leute sind tot.“ - Kindergeschrei wird sie dann kaum noch stören. Genauso wenig kümmern sie die Blumen, die Sympathiebekundungen, die verklärten Blicke und das respektvolle Schweigen. Es ist lediglich eine schöne Art sich zu bedanken – eine stille Reminiszenz an die, die uns zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken gebracht haben – an die, die durch ihren Gesang, ihren Tanz, ihr Spiel oder ihre Dichtung auch unser Leben interessanter gemacht haben, weil sie uns etwas gaben, an das wir glauben konnten.

vh

 


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The Rich, the Beautiful and the Dead - The Cemeteries of Paris

The “Cimetière Père Lachaise” is Paris’ loveliest sculpture park and the world’s most visited cemetery. There you will find the graves of Marcel Proust, Oscar Wilde, Guillaume Appolinaire, Max Ernst, Paul Eluard and many others. The French playwright and actor Molière who died on stage is buried there. As well as the dancer Isadora Duncan who was strangled on the Promenade des Anglais in Nice when her long red scarf was caught in the wheels on her companion’s Bugatti. The cemetery’s most frequented grave is that of Jim Morrison who died in 1971 in an apartment in the Marais.

The most visited grave of the “Cimetière Montparnasse” is the place where French singer Serge Gainsbourg is buried. The grave is decorated with flowers, photos, pictures and metro tickets – an allusion to one of his popular songs. Jean Seberg, the American actress and icon of the “New Wave”, is also buried there. Here modest grave with inelegant flower arrangements is quite depressing.

Another representative of the “New Wave” is buried in an elegant black marble grave on “Cimetière Montmartre”: the French director François Truffaut. You can also visit the sumptuous grave of the Egyptian singer Dalida who is very much liked by the French. German visitors are usually drawn to the grave of German poet and vicious tongue Heinrich Heine.

All those flowers, the proofs of sympathy, the transfigured looks and the respectful silence won’t bother the dead any more. It is just a nice way to remember those who made us laugh and cry and think – to thank them for the song, the dance, the performance and the poetry.

vh